Ein Gelderländer im Hohen Westerwald -

Jankid ist gegangen...

Breitscheid, Sonntag den 18. Januar 2015

Am ersten richtigen Wintertag im Jahr 2015, hat sich der Lebenskreis eines der beiden Pferde in unserer Obhut geschlossen. Wie es einem Königlichen Warmblut Pferd der Niederlande gebührt, an einem sonnigen Tag, nach fünf Stunden auf einer seit Wochen erstmals gefrorenen Weide ohne Matsch, mit viel lecker zupfbarem Grün. Nach einem weiten, pferde-würdigen Blick über das Erdbachtal, nach sicherndem Lauschen auf ein heiseres Bellen des Rehbocks im angrenzenden, "äußerst pferdebedrohlichen" Wildschwein-Gehölz...

Zu den Bildern


Wir müssen weiterleben -

Lieber Jankid
von Elke & Karlheinz

###

Der Anfang

Der Unfall

Das Fahren

Die Rente

Der Sturz

Die Füße

Das Gehen

Danke Dir

Dankeschön in Deinem Namen

p.s.: Jaron

###

Als wir Dich und Deinen Bruder Jaron im März vor fast vier Jahren kennen lernten, da war es Deine verschmitzte Pfiffigkeit, Dein Charme, Dein "Papageienkopf", Deine freundlichen Augen, die beeindruckende Erscheinung eines noch urwüchsigen Gelderländers, die uns schon nach wenigen Tagen zu KWPN-Liebhabern Königlicher Warmblutpferde der Niederlande werden ließ. Die Frist, die wir uns gegeben hatten, um herauszufinden, ob wir Pferde-Menschen-Anfänger uns trauen dürften, die Verantwortung für zwei zwanzigjährige Kutschpferde zu übernehmen, brauchte es nicht. Am 10. Mai 2011 waren wir mit Brief und Siegel, Haut und Haaren Eure "jungen" Pferdeeltern im Rentenalter und am ersten Juni kamt Ihr mit uns auf den Saalbachhof in Breitscheid, zurück an den Rand des Hohen Westerwaldes, auf dem Ihr so viele frühe Jahre verbracht habt.

Hier waren wir wohl zwei Sommer und Winter lang Euer Rätsel: "Gras und Heu zum Abwinken, zwei Obst-, Müsli- und Was-nicht-noch-Mahlzeiten, ein sauberes Wohnzimmer täglich - alles ganz nett - aber wollen, oder können die Beiden uns sonst nichts anderes bieten, als uns auf dem Reitplatz im Kreis laufen zu lassen?" Immerhin, nachdem es hieß: "Sie waren ihr Leben lang nachts in der Box", ging es im ersten Jahr tagsüber auf opulente Weiden. Im zweiten Sommer dann gar Weidegang rund um die Uhr, klappt wunderbar. Und die lapidare Nachklapp-Info: "Klar, das kennen die Beiden" - sagenhaft!...
nach oben

Dass Freiheit nicht ohne Risiko zu haben ist, zeigte uns ein Ereignis am 20. Mai 2012: Am Ende eines heftigen Gewitter Nachmittags, hattest Du das linke Eisen vorn verloren, und kurz darauf bemerkten wir, dass Du hinten links humpelnd, lahm gingst. Wie es dazu gekommen war, können wir bis heute nur vermuten (Blitz und Donner - Paniksturz mit Spreizung...?) und trotz der Bemühungen vieler Experten werden wir nie wissen, welcher Art die Verletzung war (an Lendenwirbelsäule, Becken, Nerven, Bändern...?), die Dich bis zu Deinem letzten Lebenstag zunehmend beschweren sollte.

Übereinstimmende Meinung aller Sachkundigen war aber, dass Dir Bewegung nicht schaden, vielleicht sogar heilsam sein könne. So erlebten wir Dich seitdem im beständigen Auf und Ab von Bildern des Schonens, dann wieder der fast "normalen" Bewegung Deines Problembeines. Immer aber mit dem Eindruck, dass Du trotz dieses Handicaps gerne lebst.
nach oben

Das galt unverändert auch ein Jahr später, als wir zu Beginn des Sommers 2013 glaubten, so viel wechselseitiges Vertrauen gewonnen zu haben, dass wir das Fahren mit Euch wagen dürften. Ruhig und leicht lenkbar war denn auch Euer Verhalten vor der Kutsche, von der ersten Fahrt an, die wir "with a little help from our friend" Peter am 3. Juni 2013 unternahmen.

Diesem begeisternden Fahrerlebnis folgten mehr als siebzig weitere, über insgesamt 876 Kilometer mit Dir und Jaron, im Umkreis von Breitscheid, Rabenscheid, Heisterberg und Gusternhain. In der Anspannung vor der Kutsche durch um ein Loch verlängerte Zugstränge zurückgenommen, warst Du nicht gezwungen, Dich an der Zugarbeit zu beteiligen, hattest aber jeder Zeit die Möglichkeit dazu. Was Du anfangs auch des öfteren, später seltener, aber wenn, dann eigentlich immer mit tiefbrummelnden Zeichen des Wohlbehagens getan hast. Auch wenn es Dein sportliches "Rehlein" und Brüderchen Jaron "juckte", bei Gelegenheit einmal einen größeren Gang einzlegen, Du folgtest mit Deiner stolzen, "echten" Gelderländer Übersetzung (Beinlänge) sogar einem leicht trabenden Jaron, ohne überfordert zu sein, in Deinem Schritttempo.

Nach der letzten Fahrt vor der Winterpause 2013/14 hatten wir dann sogar den glücklichen Eindruck, dass Du die Muskeln wiedergewonnen hattest, die durch das Schonen abgebaut worden waren. Die Dir nun wieder halfen, Deine Beschwerden besser zu (er)tragen...
nach oben

...Leider konnten wir nach zwölf Fahrten des Jahres 2014 zunehmend nicht mehr die Befürchtung loswerden, dass Du nun bleibend akute Schmerzen hattest, die in den Pausen zwischen den Touren nicht mehr "verschwanden", auch wenn Du immer noch häufig am Ende einer Tour tiefbrummend und prustend Wohlbehagen zu signalisieren schienst. Der fahrtenfreie Winter und die dadurch erneut abgebaute Muskulatur schien uns die Ursache dafür zu sein. Wie auch immer, eine Beobachtung alarmierte uns dann aber ganz besonders. Am Morgen nach einer kalten Regen- und Windnacht auf der Weide, zwickte, biss Dich ein selber kältezitternder Jaron in die Vorderbeine und trat Dir mit gebremsten, rückwärtigen Huf-Doppeltritten mehrfach gegen Dein Hinterteil. Ganz offensichtlich, um Dich dazu zu bringen, dass Du Dich doch bitteschön selber bewegst, um Wärme in Deinem Körper zu erzeugen. Schien es uns nur, als wolltest(?) oder konntest(?) Du den rührend fürsorglichen Aufforderungen nicht folgen... weil es Dir zu weh tat, wenn Du Dich auch nur locker warm laufen würdest??

Mit dieser Frage war der nagende Zweifel geboren, ob wir Dir nicht doch, egal wie gut gemeint, Schmerzen zufügten, wenn wir Dich vor der Kutsche mitlaufen lassen. Und so kamen wir - nicht zuletzt auch bestärkt durch den pferdeweisen Rat von Jutta und Werner Saalbach, Deinen Hoteliers und Dr. Langel, Deinem Zahnarzt - am 10. Juli zum Entschluss, Dich von nun an auf der Weide zu lassen, Dich "in Rente" zu schicken.

Eigenartig, wie sehr sich die Endgültigkeit dieser Entscheidung heute noch traurig und glücklich zugleich anfühlt. Tägliche, oft zweimalige Gaben von Equipalazone, je nach Deinem Bewegungsbild, sollten Dir so viel wie möglich Freiheit von Schmerzen erhalten und damit den guten Grund, gerne weiter zu leben, "so lange, wie Du uns zeigst, dass Du das möchtest."...
nach oben

...Der erste einigermaßen "richtige" Schnee des Winters, am 28. Dezember, fiel auf ungefrorenen Boden. Bei Temperaturen um null Grad taute er langsam wieder, und seine Reste machten wasserübersättigte Weideböden noch intensiver zu Matschbiotopen und Wege zu Eisbahnen.

Auf einem der abendlichen Heimwege von der Weide fielst Du hinter mir krachend auf Deine rechte Seite und mein Herz mit Dir: "Hier ist Ende. Hier kommt er nicht mehr hoch?!" Doch, so träge und glühend mir dieser Schreck gerade in die Glieder gefahren war, so glücklich und verblüfft durfte ich Dich nach einem "Und - zack" schon wieder auf Deinen Beinen sehen: "...Mach voran, ich will zu meinem Müsli, meiner warmen Leinsamen-Pampe, meinem Heunetz, meinem Brüderchen Jaron und meinem lieben Nachbarn Toni!"...
nach oben

Nach den ersten beiden Wochen im Januar war dann ein Huftermin längst überfällig. So trafen sich Kai Wörtge, Dein Hufschmied und Walter Graulich, Dein Hausarzt, am Donnerstag, 15. Januar am Hof.

Die Sedierungsspritze versetzte Dich - Kreislauf bedingt? - verblüffend schlagartig und tief wie nie in Trance. Ohne eine Sedierung war es seit Deiner Verletzung auf der Weide nicht möglich, Deinen rechten Hinterhuf auszuschneiden, geschweige denn zu beschlagen. Diese lebenswichtige Behandlung gelingt nur, wenn es Dein schmerzendes linkes Hinterbein schafft, die Last Deines beachtlichen Hinterleibes lange genug alleine zu tragen. Aufgrund der außergewöhnlichen Tiefe Deiner heutigen Sediertheit, vielleicht aber auch der dennoch wahrgenommenen Schmerzen(?) im linken Hanken, schien es mir mehrmals, als wolltest/müsstest Du Dich im nächsten Moment immer bedrohlicher nach rechts, zu Kai hin lehnen, ja sogar auf ihn fallen lassen.

Die feinen neuen Füße, die er Dir dennoch, im Schweiße seines Angesichts und in gewohnter Qualität(!) verpasste, waren DER Liebesdienst Deines Leib- und Magen-Hufbeschlagschmieds Kai.

Das folgende Wochenende des 17. und 18. Januar ließ dann endlich, mit trockener Kälte, gefrorenem Boden und hellem Sonnenschein, die deprimierenden Regen- und Nebeltage der ersten Monatshälfte vergessen. Und, wie schön war es, beim Putzen nach dem Frühstück zu sehen: In der Nacht zum Samstag hattest Du seit langem einmal wieder in Deiner Box gelegen. Wie immer, seit nun fast 20 Monaten, auf der rechten Seite. Nur von der aus und mit ihrem gesunden Hanken, konntest Du wieder aufstehen.

Dann ging es auf die Weide vor dem Steinbruch und in einen Sonnabend, der seinem Namen zwar leicht-winterliche, aber alle Ehre machte. Pferdegenuss mit zupfbarem Grün und freiem Blick bis an den Horizont weit hinter das Dilltal im Südosten.
nach oben

Auch in der Nacht zum Sonntag hast Du in Deiner Box gelegen - ein (gutes) Omen? Nach dem Putzen ging ich mit Jaron voraus zur Weide. Als wir den Hofausgang erreicht hatten, standst Du mit Elke immer noch in der Boxengasse. Und Jaron schaute ganz ruhig zu Dir zurück. Auf dem weiteren Weg zur Weide folgtet Ihr uns dann aber doch mit vielen Pausen und immer größer werdendem Abstand. (Siehe Elkes Brief).

Auf der Weide stand Jaron - weiter - ganz ruhig, Gras zupfend. Kein übermütiges Galoppieren zu Dir, kein dominantes Bedrängen, was er sonst gerne tat, wenn es ihm gut ging, wenn alles gut war.

Als Du mit Elke zehn Meter in der Weide standst, schien es, als machtest Du links vorn einen gestreckten Hengstfuß, mehrmals auf und ab. Bei genauerem Hinschauen sah es aber doch eher so aus, als wüsstest Du garnicht, ob der Weg frei wäre für den nächsten Schritt, oder ob er Dich nicht in einen Abgrund führen würde. Gleich darauf schien es dann wieder, als könntest Du auch jeder Zeit nach hinten fallen - als hätte ein "blinder" Feldherrenhügel keinen Meldereiter mehr.

Bei Elke und Dir angekommen, bemerkte ich Deine Schnauze. Sie war weiß wie eine gekalkte Wand, so wie ich sie noch nicht bei einem Pferd gesehen habe... Und, wie ich es ebenfalls noch nie empfunden habe, berührte mich ein alarmierendes, beängstigendes, den Hals zuschnürendes und doch ruhiges und beruhigendes Etwas, wie ein Hauch. Und Elke und ich, wir wussten, was Du uns heute morgen gesagt hast: "Es war schön, es war gut. Nun lasst mich gehen."

Der Anruf bei Walter Graulich - 13 Uhr am Hof - die Fotos auf der Weide - saubere Boxen, gefüllte Heunetze... da war es auch schon halb eins... der Weg, noch einmal, wir alle gemeinsam mit Dir, zurück zum Hof, im Sonnenschein - in Deiner Box, Heuzupfen aus dem Netz - Elke führt Dich - ein ruhiger, aufmerksamer Blick mit hohem Gelderländer Kopf ins weite Tal - Werner und Jutta assistieren Walter Graulich: "... zur Seite, er fällt - schon wenn er noch steht, nimmt er nichts mehr wahr" - und Du fällst wie ein wirklich großer alter Baum, vom Blitz getroffen, mit majestätischer Wucht - nach links, die Seite, auf der Du seit Deiner Verletzung nicht mehr liegen konntest - Deine entspannt gestreckten Beine liegen da, als wollten sie sagen, "20 Monate haben wir fast 650 Kilogramm Jankid unter verschärften Bedingungen, fast nur zu Dritt getragen: Diese Pause haben wir verdient" - kurze Zeit noch zittert Dein Augenlid, blähen sich Deine Nüstern, pulsiert die Leiste - ein leichtes Nachspritzen... Du, unser JANKID, bist schon längst da, wo wir uns alle wiedersehen werden... Jaron ruft nach Dir, Elke führt ihn zu Dir, zu Deinem Leib - Jaron wird ruhiger - Jutta schneidet mir ein Büschel Haare aus Deinem Schweif - Werner bedeckt Deine beeindruckende, irdische Gestalt...

Montagmorgen - Thomas Schaab vom Zweckverband Tierkörperbeseitigung zieht Dich vorsichtig, als wolle er Dich nicht wecken, oder Dir gar wehtun, auf die große Ladefläche seines Leichenwagens für Tiere - eine spezielle Vorrichtung wiegt und hebt Dich - Du schwebst kurz über mir, vor dem blendenden Weiß des Montagmorgens, als solle es geradewegs vom Saalbachhof in den Pferdehimmel gehen - und mit einem grandiosen Donnerschlag verabschiedest Du Dich von dem Ort Deiner letzten vier Lebensjahre - Thomas Schaab: "Für den Westerwald war das ein beeindruckendes Pferd!" - er kann eigentlich garnicht wissen, WIE recht er hat...
nach oben

###

Danke Dir

- für Deine wuchtig Erscheinung eines klassischen Kutschpferdes aus den Niederlanden, eines stilvollen "alten" Gelderländers, der so treffend als JONGKIND, Junges Kind, auf die Welt gekommen ist,

- für Deine weise, milde, manchmal leicht belustigt, immer wachsam schauenden, zunehmend getrübten Mandel-Augen,

- für Deine zueinander gerichteten "Spock"-Ohren über Deinem adelig fein gewölbten Nasenrücken,

- für Deine so oft geübte genüssliche Feier alles Leckeren, wenn Deine weiche große Zunge, mal mit dem glatten Metall Deiner Box, mal großzügig über die ganze Breite meiner Weste, mal mit der rechten, mal lieber mit der linken Handfläche versonnen innigen Kontakt pflegte,

- für das wahrhaft große Gefühl, Deinen Bauch zur geschätzten guten Hälfte zu umspannen, und damit der kleine Teil von etwas Machtvollem sein zu dürfen,

- für die kostbaren Momente vor Deinem imposanten "Bug", Deinen Mähnenkamm umfassend, in Dich hinein zu horchen und Deine Kraft zu spüren,

- dafür, dass Du der unschätzbare Teil unseres Lebens warst. Wir freuen uns darauf, Dich da wieder zu sehen, wohin Du uns vorausgegangen bist. So lange bist Du nun ein Teil unserer Herzen.
nach oben

###

In Deinem Namen sagen wir ein ganz besonderes Dankeschön:

Peter, dem Kutschenfreund, der uns motivierte, das Fahren mit Jaron und Dir - endlich - zu wagen...

Christine, Petra und Ingrid für ihre großen Herzen bei der Suche nach dem verdammten Dämon in Deinem linken Hanken...

Dr. Langel und Dr. Graulich für ihre feine zahn- und allgemeinmedizinische Betreuung...

Kai, Deinem Leib- und Magen-Schmied, für die tollen Hufe, die er immer wieder aus Deinen asymmetrischen, pardon, "Plattfüßen" zauberte. Ganz besonders aber für den Schweiß treibenden, beinahe riskante Einsatz für Deine letzten, edlen Füße - ein wahrer Liebesdienst!...

Jutta & Werner für fast vier Jahre perfekter Pension auf dem Saalbach Hof, in einer Luxusbox, mit "Heu satt" nach diesem oft gehörten Spruch, der sich hier aber tatsächlich so buchstabiert: s-a-t-t! Mit leckerem Gras auf opulenten Weiden...
Ganz besonders aber für die ungefragt wie selbstverständliche Begleitung auf dem letzten Stück Deines Weges...
nach oben

###

p.s.: JARON -
Wir glauben, Dir in seinem Namen sagen zu dürfen, dass der Schmerz, die Trauer über Deine andauernde Abwesenheit, Deine leere Box, ihn zwar zwei Tage lang nach Dir rufen ließ. Wie Du aber sehen kannst, hat er inzwischen mit Lugh und vor allem mit Toni, Deinem Boxennachbarn, auf gemeinsamer Weide Ablenkung und Trost gefunden.

Bis bald,

Jaron, Elke & Karlheinz

###

Zu den Bildern

nach oben

###

nach ganz oben


zurück zu: Pferde

zurück zu ekdamerow