Gehorsam oder Vertrauen

Sport mit Pferden verantworten

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Hindernis 12 der Geländestrecke ist Teil der Vier-Sterne-Prüfung des Internationalen Vielseitigkeitsturniers in Luhmühlen. Ein Pferd verhakt sich in dem als relativ leicht geltenden Hindernis. Der Reiter fliegt kopfüber in den Sand. Sein Pferd landet auf dem Hals.

Auf der Leinwand der Haupttribüne ist zu sehen, wie der Reiter aufspringt. Auch sein Pferd versucht, wieder auf die Beine zu kommen. Aber es gelingt nicht. Pferd und Unfallstelle werden mit Planen vor den Blicken der Zuschauer abgeschirmt. Nach mehrmals wiederholten zehnminütigen Unterbrechungen wird der Wettbewerb fortgesetzt.

Auf einer Pressekonferenz am Abend wird bekannt gegeben, dass die Tierärzte zunächst eine Schockbehandlung vorgenommen haben. Als sich der Zustand des zehnjährigen Pferdes nicht besserte, legten sie es in Narkose und ließen es mit einem Spezialtransporter in die wenige Kilometer entfernte Tierklinik in Vierhöfen bringen. Dort erwachte die Stute nicht mehr, sie wurde eingeschläfert. Die Diagnose war ebenso eindeutig wie aussichtslos: Querschnittslähmung.

Zur exakten Feststellung der Todesursache wurde das Pferd in die Pathologie der Tierärztlichen Hochschule Hannover gebracht. Diese Maßnahme verlangt und finanziert die Internationale Reiterliche Vereinigung (FEI), die seit Jahren versucht, mit Hilfe eines "Risk Management Programms" (Risiko-Kontroll-Programm) Unfälle im Vielseitigkeitssport zu analysieren und durch gezielte Maßnahmen zu verhindern.

Der Geländekurs in Luhmühlen zählte zu den technisch schwierigsten, die es in der Eliteklasse der Vielseitigkeit heute gibt. Die meisten der festen Hindernisse waren bei dieser Vier-Sterne-Prüfung 1,20 Meter hoch, die mit einer Hecke oben drauf 1,40 Meter.

Das fatale Hindernis Nummer 12 war eine sogenannte Buschhecke. Das heißt: Oben sind lockere Zweige eingesteckt, durch die das Pferd durchwischen kann - ein Hindernis, das jede Woche bei jedem Geländeritt zu finden ist.

Die Verletzung - Querschnittslähmung bedingt durch ein Trauma - kommt in diesem Sport extrem selten vor. Häufiger gibt es solche Wirbelsäulenverletzungen bei Weidepferden, etwa wenn Junghengste miteinander kämpfen und hintenüber stürzen.

Ein tragischer Unfall also, ohne eindeutige Ursache? Eine Rückmeldung für den Parcours-Chef von Luhmühlen sind immerhin 55 Verweigerungen und neun Stürze in den beiden Prüfungen. Der deutschen Cross-Bundestrainer meint: "Ein fairer, aber tatsächlich sehr anspruchsvoller Kurs, der prüfte, ob das Pferd gehorsam auf den Reiter reagiert".

Der deutsche Olympiasieger, Welt- und Europameister siegte mit einem Zweitpferd, das sich jetzt auch bei der EM bewähren soll. Zweiter wurde der deutsche Mannschafts-Olympiasieger, dessen 17 Jahre altes Olympiapferd vor einigen Wochen beim Turnier in Wiesbaden nach dem Geländeritt gestorben ist. Dritte wurde eine deutsche Reiterin, die in Luhmühlen vier Pferde über den Kurs steuerte.

Hmmmm...

Der tödliche Sturz für das Pferd an Hindernis 12 war wohl eines der ganz, ganz seltenen Ereignisse, die nur deshalb geschehen, weil alles was möglich ist auch passiert. Entscheidend ist die pure, noch so kleine Möglichkeit.

So geschieht es, dass geübte Schwimmer ertrinken, Spitzen-Autofahrer Unfälle verursachen, die tollsten Bergsteiger aus der Wand stürzen und ... auch noch so gute Reiter vom Pferd fallen (gelle, Maya?!), einfach weil es möglich ist. Kein fahrlässiges Handeln, kein billigendes In-Kauf-nehmen oder gar vorsätzliches Verursachen eines Unfalls sind nötig dafür.

So gesehen gibt der Tod der Stute keinen objektiven Anlass für juristische Schuldzuweisungen an die Verantwortlichen des Wettkampfs bei der Turniergesellschaft Luhmühlen oder der FEI (Fédération Equestre International), im Dachverband des Vielseitigkeitssports. Und dennoch habe ich ein - ganz ehrlich, nicht nur gefühlsduseliges - klammes Gefühl beim Gedanken an den "Sport mit 1-PS-Motor".

Ob in der Dressur, beim Fahren oder Reiten: Der wesentliche Teil der Leistung in diesen Sportarten wird von Pferden mit ihren übermenschlichen Kräften erbracht. Als Fluchttiere beinhaltet ihr Verhalten grundsätzlich eine unkalkulierbare Komponente und damit ein beständiges, nie vollkommen auf Null reduzierbares Unfallrisiko.

Pferde so zu steuern, "gehorsam" agieren zu lassen, dass dieses Risiko so klein wie möglich wird, gelingt einem Menschen nur dann und in dem Maße wie er ein streng persönliches Vertrauen zwischen seinem Sportpartner und sich selbst erarbeiten kann.

"Methoden" wie das Brechen, Prügeln, Barren, Rollkuren, der Einsatz von Schmerzmitteln, hormonelle u.a. medikamentöse Eingriffe zum Zweck der Leistungssteigerung ... beeinträchtigen bis (zer)stören das Vertrauen des Tieres zu seinem Menschen.

Das gilt besonders auch, wenn ein Pferd aus nachrangiger Motivation, im Interesse des sportlichen Erfolgs, in einem Wettkampf eingesetzt wird, obwohl es nicht vollkommen gesund ist, oder obwohl die Beschaffenheit der Wettkampfstätte Gefahren für die Gesundheit des Tieres begründet befürchten lässt.

Das vertrauensvolle Tier verlässt sich auf die sichere Führung seines Menschen. Grundsätzlich möchte ich davon ausgehen, dass eine solche Einstellung bei einer großen Mehrheit von Pferdesportlern beherzigt, gelebt und nicht nur geredet wird. Sportpferde aber, die den größten Teil ihrer Lebenszeit von TTs (gewiss nicht abschätzig gemeint, ganz im Gegenteil: Turnier-Trotteln) betreut wurden, sollten auch von eben diesen im Wettkampf gelenkt werden und nicht von einem noch so "großen Namen", den sie nur alle Nase lang zu Gesicht bekommen.

Verweigerungen und Stürze sind neben unzureichender Fitness nicht zuletzt auch ein Zeichen für fehlendes Vertrauen zwischen Reiter und Pferd. Meist selbsternannte Beherrscher eines "Hilfen"-Esperantos, das wie auf Knopfdruck bei allen Pferde-Persönlichkeiten gleich gut "funktioniert" - gefälligst zu funktionieren hat! - sehen das sicher anders. Dennoch, ganz besonders in stressigen, also Wettkampfsituationen, können kleinste Variationen dieser "Hilfen"gebung entscheidend dafür sein, ob ein Pferd "gehorsam" auf den Reiter reagiert oder nicht.

Wie verräterisch Begriffe doch sein können: Es wird hier von "Hilfen" gesprochen, wobei der Mensch, der sie "gibt", damit ehrlicherweise um die Hilfe des Pferdes bittet. Fragt sich dann auch, welche Konsequenz es hat, wenn ein Pferd nicht "gehorsam" ist und nicht genau das macht, worum ihn der Reiter gebeten hat? Ist der Sturz oder wenigstens eine Verweigerung die in Kauf genommene oder gar gewollte, "gerechte" Folge, am Ende gar "Bestrafung"? Unabhängig von der Antwort auf die Frage, ob das Pferd die "Hilfe" überhaupt verstanden und/oder vorsätzlich falsch beantwortet hat.

Wer übrigens vier Pferde auf einem Wettkampf mit Welt-Niveau lenkt, der muss über viele Jahre jeden Tag viel Zeit mit ihnen verbracht haben, um sich deren volles Vertrauen zu verdienen. Alle Achtung. Ich erinnere, wie Tamme Hanken einer jungen Frau auf deren Einwand, dass sie die von ihm für notwendig erachteten drei Stunden täglich für jedes ihrer Pferde nicht aufbringen könne, antwortete: "Dann hast Du wohl zu viele!"

Die folgenden Beispiele eines gelungenen Umgangs von Mensch und Pferd sind für mich persönlich ganz wichtige Anker meines Glaubens an eine hoffnungsvolle gemeinsame Zukunft dieser beiden wunderbaren Arten von Lebewesen:

#1

GABRIELE POCHHAMMER

Der Zahnarzt Hinrich Romeike, der sich die Zeit für das Training im Vielseitigkeitsreiten von seinen Praxisstunden abknapsen musste, und sein Holsteiner Marius aus uralter Bauernzucht wurden anfangs ein bisschen belächelt: Brav kamen sie daher mit ihrer sauberen Dressur, nie schneller im Gelände, als angeraten schien, was meist zu langsam war. Und im Springen fielen auch noch häufig die Stangen, Marius nahm sie einfach nicht ernst.

"Amateure eben(?!)" alle beide, von denen ein Profi nichts zu befürchten hatte. „Nettes Pferdchen“, sagte eine erfolgreiche Olympia-Amazone nach dem ersten Auftritt des Paares in Luhmühlen, „aber nichts für ein Championat.“ So dachten viele.

Das "nette Pferdchen" und sein Mensch erreichten 2004 in Athen dennoch als Fünfte die beste Platzierung für ihr Land. 2008 in Peking trugen sie zum Olympiasieg der Mannschaft bei und errangen selber sogar diese höchste sportliche Krone im Einzel (Mensch-Pferde-Doppel) der Vielseitigkeitsreiterei.

Womit die Beiden am meisten punkteten:

Sie hatten dieses bedingungslose Vertrauen zueinander.

Marius spürte, dass sein Reiter nichts Unmögliches von ihm verlangte, und Romeike war klug genug, sein Pferd machen zu lassen. "Er sucht sich selbst den Weg zwischen den roten und weißen Flaggen", sagte er. Und zwar immer den kürzesten.

Kein Sturz, keine Verweigerung trüben die Laufbahn dieses Pferdes.

Wenn der Schimmel mit gespitzten Ohren auf eine Hinderniskombination zugaloppierte, unaufgeregt jede noch so vertrackte Klippe nahm, dann spürte auch der Zuschauer am Rande die Einheit von Reiter und Pferd, die so häufig beschworen und so selten gelebt wird.

Schnell ritten Romeike und Marius nur einmal im Jahr, beim jeweiligen Championat. Die Zeit war schon deswegen immer besser, als sie aussah, weil Romeike nicht mit Marius diskutieren, ziehen und zuppeln musste, sondern einfach von Start bis Ziel durchgaloppieren konnte.

'The flying dentist' nannten die Briten, die Könige der Vielseitigkeitsreiterei, Romeike anerkennend und auch ein bisschen fassungslos, dass es so etwas (noch?!) gab.

#2

EVI SIMEONI

Die deutsche Nationenpreismannschaft der Springreiter hat am ersten Juniwochenende 2013 ihre gemeldete Wettkampfteilnahme im Stadion Gründenmoos in St. Gallen zurückgezogen, weil das Geläuf durch massive Regenfälle so tief geworden war, dass sie es nicht riskieren wollte, mit ihren Pferden zu starten.

Die Sportler blieben bei dieser Entscheidung für die Gesundheit ihrer Pferde, entgegen der Drohung, wegen Nichtstarts aus der Punktwertung der Nationenpreis-Serie gestrichen zu werden, damit das Finale in Barcelona zu verpassen, wo 1,5 Millionen Euro Preisgeld zu gewinnen sind und außerdem in die zweite Liga abzusteigen, so dass sie auch im nächsten Jahr vom großen, von einem saudischen Sponsor gefüllten Geldtopf ausgeschlossen wären.

Jeder Wettkampf und sei es das Kirschkern-Weitspucken, weckt bei seinen Teilnehmern früher oder später eine mehr oder weniger intensive Sucht, gewinnen zu wollen, zu müssen. Vorrangiges Symptom dieser Sucht ist ein fiebriger Zustand eingeengter, extrem selektiver Wahrnehmung.

Bei Sportarten, in denen Entscheidungen der Wettkämpfer ausschließlich von ihnen selber verantwortbar sind und im Falle eines Unfalls kein weiteres Lebewesen betroffen ist, wie beim Springen von Hochhäusern oder Felswänden, haben Dritte oder gar die Gemeinschaft kaum stichhaltige Argumente für einschränkende Vorschriften.

In Sportarten dagegen, die mit einem PS betrieben werden, setzt der Partner Pferd und sein Wohlergehen den absoluten Rahmen für jede möglichen Entscheidung seines Menschen. Gesundheitsgefährdung oder gar Leiden des Pferdes sind ausnahmslos in keinem Fall zu akzeptieren oder zu rechtfertigen.

Nicht einmal zu Zeiten des Pferdes als Nutztier für den Menschen war ein Verstoß gegen diesen Grundsatz ökonomisch klug, geschweige denn ethisch vertretbar. In unserer heutigen Zeit des Pferdes als Freizeitpartner des Menschen erst recht nicht mehr.

Ich wünsche mir, dass diese Einsicht von allen Verantwortlichen in den diversen Verbänden nicht nur geredet, sondern ausdrücklich gelebt wird. Die Regeln, die sich jeder Sport gibt, müssen im Pferdesport eine deutliche und unmissverständliche Umsetzung einer verantwortlichen Partnerschaft zwischen Mensch und Pferd darstellen und gewährleisten.

Die beiden genannten Beispiele stehen sicher für einige mehr. Sie sind es, die das "gute Bild" vom Pferdesport in der Gesellschaft noch deutlicher prägen sollten.

Mir machen sie Mut.

Karlheinz

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SPORT
Fragen an den Parcours-Chef
55 Verweigerungen, neun Stürze: Der Vielseitigkeits-Klassiker in Luhmühlen wird von Unglücken überschattet - ein Pferd muss eingeschläfert werden

von GABRIELE POCHHAMMER
Süddeutsche Zeitung, 17. Juni 2013

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Tödlicher Sturz überschattet Vielseitigkeitsturnier
Tragischer Unfall überschattet internationales Vielseitigkeitsturnier in Luhmühlen. Andreas Dibowski bei Vier-Sterne-Prüfung bester Deutscher

von NORBERT SCHEID
Hamburger Abendblatt, 17. Juni 2013

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Streit bei den Reitern
Geld oder Tierliebe

Vor einer Woche verzichtete das Nationenpreisteam wegen der schlechten Platzbedingungen auf den Start in St. Gallen. Die Gesundheit der Pferde war wichtiger als Ruhm und Geld. Nun droht den Deutschen eine harte Strafe.

von EVI SIMEONI
Frankfurter Allgemeine, 10. Juni 2013

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