Die Arbeits"kleidung" starker Comtois

Die erste Bekanntschaft mit einem der famosen Pferde der Region machen wir mit KARLINE. Sie hat gerade ihre Fahr-Gäste von einer Wochenend-Tour zum Hof zurückgebracht.

Eine siebenköpfige Familie mit Großeltern, Eltern, drei Kindern und deren Gepäck, hat sie in einem historischen, 1,1-Tonnen wiegenden Wagen, zwei Tage durch die wellige Landschaft bewegt. Die Tour-Anleitung schreibt zwar vor, dass bei starken Steigungen ALLE Teilnehmer, mit Ausnahme des Kutschers (der muss im Bedarfsfall auf dem Bock sein, weil nur dort gebremst werden kann!), absteigen und das Pferd durch Schieben des Wagens unterstützen sollen: KARLINE erreicht den Hof in Schweiß gebadet.

Dennoch ist ihr Arbeitstag längst nicht zu Ende. Geduldig steht sie uns noch als Demonstrations- und Übungs-Model für das Auf-, Abschirren und das An- und Ausspannen zur Verfügung.

Jacky, dem Mann für die „Roulottes“, die Pferdewagen und für deren „Bio-Motoren“ – mit einer Ausnahme alles Comtois-Stuten – gelingt es in seiner freundlich geduldigen Art, uns über unsere kümmerlichen Reste Jahrzehnte lang verschütteter Schul-Französisch-Kenntnisse hinweg zu zeigen, wie das fachgerecht zu geschehen hat.

Zuerst wird das Hinter-Geschirr aufgelegt.

Im Wesentlichen ein breiter, starker Lederriemen, der lose um das Hinterteil des Pferdes verläuft und dort durch mehrere kleine Riemen über die Kruppe (hinterer höchster Teil des Pferderückens) in Position gehalten wird. Beide Enden dieses Riemens sind in Fahrtrichtung mit Ketten verbunden, die beim Einspannen an den Gabelbäumen des Wagens eigehängt werden. 

Wir haben an dieser Stelle, bei unserem Lehrgang mit einer zweispännigen Kutsche, den sogenannten Schweifriemen kennen gelernt. Ein Schweifriemen liegt über dem Rückgrat des Pferdes und verbindet die vorderen Teile des Geschirrs mit der sogenannte Schweifmetze, einem geschlossenen Leder-Oval mit eingenähten Leinsamen. Die sind ölhaltig und damit selbstfettend. Ein äußerst pfiffiges Detail einer hoch entwickelten Technik aus der Prä-Hai-Tek-Zeit.

Nachdem der Schweif des Pferdes so durch dieses Lederoval hindurch praktiziert wurde, dass es um die Schweifrübe (Verlängerung der Pferde-Wirbelsäule, an dem die Schweifhaare wachsen) zu liegen kommt, kann der Schweifriemen die übrigen Teile des Geschirrs daran hindern, nach vorn, auf den Kopf zu rutschen. 

Der Schweifriemen, den Jacky uns zeigt, ist Teil des Hinter-Geschirrs, endet jedoch y-förmig, also offen. Ein längeres rechtes Schlaufenteil kann so bequem unter die Schweifrübe gelegt und mit dem kürzeren linken Schnallenteil verbunden werden. Sehr praktisch.

Nun kommt das Kummet, die „Kuppelung“ zwischen Pferdeleib und Wagen. In der traditionellen Form der Region Haute Saône präsentiert es sich als eine Art Collier, ein bestens durchdachtes Equipment aus der vor-otto-motorisierten Zeit. Ein Scharnier im Nackenbereich dieses äußerst stabilen, unsymmetrischen Ovals um den Hals des Pferdes ermöglicht ein Öffnen und Spreizen der beiden seitlichen Schenkel. 

Anders als geschlossene Kummets, die wir bisher kenngelernt haben, muss es nicht umgekehrt über den Kopf des Pferdes geschoben und gleich dahinter wieder zurück gedreht werden. Dadurch, dass es unten zu öffnen ist, kann man es, links neben dem Pferd stehend, von hinten über den Widerrist (höchste Stelle des Pferdes am Übergang von der Brust- zur Hals-Wirbelsäule) nach vorn um den Hals des Pferdes schieben.

Bei dem kapitalen Gewicht dieses rustikalen Geschirrteils mit Eisenkern, eine wahrlich menschenfreundliche Technik!

Ein in zwei/drei Stufen weitenverstellbarer Metall-Verschluss, mit einer verblüffend einfachen, kleinen Leder-Zungen-Sicherung unter dem Hals des Pferdes, ermöglichen das Fixieren und Justieren dieses integralen Bestandteils eines Zugpferde-Geschirrs an ein sich eventuell veränderndes Halsvolumen.

Die möglichst vollkommene, individuelle Passform eines Kummets ist nämlich entscheidend für eine optimale Kraftübertragung vom Pferd auf den Wagen und damit auch für ein möglichst pferdeschonendes Fahren (Achenbach). Entsprechend besitzt hier jedes Roulotte-Pferd sein eigenes, maßgeschneidertes Kummet.

Schweifriemen inklusive Hinter-Geschirr werden durch die Schlaufe eines Riemens über dem Pferderücken mit einer Schnalle, hinten oben am Kummet, verbunden. So kann das Kummet bei gesenktem Kopf des Pferdes nicht auf diesen herabrutschen = Schreck- und Verletzungs-Gefahr für das Pferd sind gebannt - ! so lange diese Verbindung zum angelegten Hintergeschirr besteht !

Zum Abschluss des Aufschirrens kommt das Zaumzeug.

Es wird über das Weidehalfter angelegt, das zum Anbringen des Führstrickes dient und das die Pferde hier den ganzen Sommer über tragen, da sie in dieser Zeit nicht in den Stall kommen.

Das Zaumzeug eines Zugpferdes besteht aus Kopfgestell, Kandare und der Leine. Als Kopfgestell bezeichnet man ein Halfter mit Kandare. Eine Kandare ist eine Trense (Eisenstange, quer durch die große Zahnlücke im Pferdemaul, direkt hinter den Schneidezähnen) an der außerhalb des Mauls, rechwinklig dazu, Hebel („Bäume“) mit Anbinde-Möglichkeiten für die Leinenenden und eine Kinnkette angebracht sind.

Die Kinnkette wird ums Kinn herum an der gegenüber liegenden Seite der Kandare eingehängt und funktioniert als ein Widerlager für die Einwirkung der Leine auf das Pferdemaul.

Zweites Widerlager ist der Nasenriemen des Kopfgestells.

Die beiden Enden der Leinen werden rechts und links von hinten durch bewegliche Metallringe (Leinen-Augen) an beiden Seiten des Kummets gezogen und dann in den oberen Ringen der Kandare eingehängt.

Nachdem der hintere Teil der Leine durch eine Lederschlaufe auf dem Hinter-Geschirr geführt wurde,

wird sie bis zum Start unter demselben in Schlaufen abgelegt.

Die Leinen bestehen hier aus einem rustikalen Hanfstrick, wie dies wohl traditionell bei bäuerlicher Anspannung üblich war/ist. Für einen Kurzzeit-Kutscher und seine Alabaster-Hände bedeutet das aber: Ein Durchrutschen dieses zwar äußerst stabilen, aber auch sehr „stacheligen“ Taues (das Pferd reißt unvermutet, z.B. wg. einer Insekten-Vampir-Attacke  den Kopf hoch…) hinterlässt schmerzhafte Spuren. Wir sind schon nach einem halben Tag froh, dass wir die Kutschen-Handschuhe dabei haben.

Nun ist das Pferd aufgeschirrt und bereit fürs Anspannen.

Die unabhängig voneinander auf und ab bewegbaren Teile der Schere (die beiden Stangen/Bäume/Anzen rechts und links vom Pferd bei einem Einspänner) sind beim parkenden Zigeunerwagen hochgeklappt und so verzurrt, dass sie nicht herunter fallen können. Zum Anspannen wird die rechte Anze herunter gelassen. Das von links, kurz hinter dem Maul an der Leine geführte, aufgeschirrte Pferd,  wird nun von hinten an diese Stange geführt.

Nachdem auch die linke Anze herabgelassen wurde, das Pferd in der Schere steht, können die Ketten des Hinter-Geschirrs an dafür vorgesehenen Haken an den Anzen eingehängt werden. Sie verhindern, dass der Wagen, der bei abschüssiger Straße schiebt, auf das Pferd aufläuft und in seine Hinterbeine fährt.

Notfalls und in begrenztem Maße kann das Pferd so den Wagen mit Hilfe des Hinter-Geschirrs zwar aufhalten. Das sofortige und dosierte Bremsen des Wagens ist jedoch in jedem Fall die Aufgabe des Kutschers.

Ein Pferd kann aus anatomischen Gründen zum Bremsen nicht die gleiche Kraft aufbringen wie zum Ziehen; es würde vom ungebremst immer schneller rollenden Wagen zum unkontrollierten Springen gezwungen = Sturz- und Verletzungsgefahr für das Pferd, akute Unfallgefahr für das Gespann!

Nachdem die am Wagen befestigten Zugstränge und die Ansen mittels Ketten über Eisenringe am Kummet fest eingehängt sind, könnten nun Kutscher und Fahrgäste den fahrbereiten Wagen besteigen, und die Fahrt könnte beginnen…

Diese Gedächtnisstütze bekommt jeder mit auf den Weg

Für uns folgt nun aber noch die Einführung in das richtige Ausschirren nach Ende einer Fahrt. Ausgerechnet Francoise werde ich am Tag unserer Rückkehr zur Station und zu meiner Schande vorführen, wie es NICHT ablaufen darf:

Nach dem Öffnen des Kummets unter dem Pferdehals

wird die Verschnallung des Hinter-Geschirrs mit dem Kummet

und der Leinen mit der Kandare gelöst. Nun wird zu allererst das Kummet vom Pferd genommen und nicht das Hinter-Geschirr!

Die umgekehrte Reihenfolge kann äußerst gefährlich enden, wenn nämlich das nun ungesicherte Kummet von hinten oben auf den (etwa zum Fressen oder Saufen gesenkten) Pferdekopf fällt/rutscht und das Tier in Panik davonpreschen sollte.

Aber… et hät ja noch immer jotjejange… die phantastischen Pferde der Station sind so gut ausgebildet und routiniert, dass mir dieser Fehler wohl mehr als einmal ohne Katastrophe von „unserer“ zauberhaften DEVISE „verziehen“ worden ist.

Wer möchte nun mal selber probieren?

Madame?

Monsieur?

Nachdem KARLINE die aufwendigen Prozeduren des Auf-, Abschirrens und Anspannens durch uns beide und ein weiteres Kutscher-Novizen-Paar mehrfach und in stoischer Ruhe über sich hat ergehen lassen, und nachdem sie von ihrer Arbeits-"Kleidung" befreit ist, hat sie dann endlich Feierabend.

Sie wird auf eine 15 Hektar große Weide geführt, die sich direkt hinter der Station über das gesamte Tal erstreckt. Dort gesellt sie sich zu 22 weiteren Stuten und einem Wallach.

Bravo, brave KARLINE!
Nun darfst Du Dich ein paar Tage ausruhen.


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