•••BLÖÖK
03.04.2018


"ROSIE", Don Partridge

Das Gedicht an der Schulwand muss weg!

"Die Degradierung weiblicher Menschen zu bewunderungswürdigen Objekten im öffentlichen Raum, darf nicht auch noch poetisch gewürdigt werden. Derart objektivierende und potentiell übergriffige und sexualisierende Blicke, mehrheitlich vermutlich männlicher Menschen können überall sein."

Bald wird ein neues Gedicht an der Schulwand stehen, ganz so, als löse das ein altes Problem.

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Inhalt

- Akteure & Vorgeschichte
- Brief des ASTA an die Schulleitung
- Diskussion zwei Jahre danach
- Aus einem Artikel von Hilmar Klute:
- Der Moderator
- Die Schulleiterin
- Die ASTA-Sprecherin
- Der Dichter
- Publikum & Journalist
- Aus Leserbriefen
- Mein Sexismus-Lied # 1
- Blockgedicht - Gomringer bleibt

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Auch wenn es "unverdiente" PR ist:
Die Alice Salomon Hochschule ist mit 3700 Studierenden Deutschlands größte staatliche
Hochschule für Soziale Arbeit, Gesundheit und Erziehung. Sie ist benannt nach Alice Salomon, einer Sozialreformerin in der deutschen Frauenbewegung. Die Schule vergibt regelmäßig Preise. 2011 erhielt ihn Eugen Gomringer für Poesie. Sein Gedicht "Avenidas" wurde an der Schulfassade angebracht. Nun, sieben Jahre später, verlangen die Student*en seine Entfernung.

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An das Rektorat der
Alice Salomon Hochschule
Alice-Salomon-Platz 5
12627 Berlin

ASTA

Offener Brief:
Stellungnahme zum
Gedicht Eugen Gomringers

Dienstag, 12. April 2016

Sehr geehrtes Rektorat der Alice Salomon Hochschule,

wir als Studierende haben ... uns etwas genauer mit dem Gedicht an der Südfassade der Hochschule beschäftigt:„avenidas“ von Eugen Gomringer, Preisträger des Alice Salomon Poetik Preises 2011.
...
Spanisches Original:

avenidas
avenidas y flores

flores
flores y mujeres

avenidas
avenidas y mujeres

avenidas y flores y mujeres y
un admirador
...
Deutsch:

Alleen
Alleen und Blumen

Blumen
Blumen und Frauen

Alleen
Alleen und Frauen

Alleen und Blumen und Frauen und
ein Bewunderer
...

Dieses Gedicht reproduziert nicht nur eine klassische patriarchale Kunsttradition, in der Frauen* ausschließlich die schönen Musen sind, die männliche Künstler zu kreativen Taten inspirieren, es erinnert zudem unangenehm an sexuelle Belästigung, der Frauen* alltäglich ausgesetzt sind.
...
Das Kunstwerk scheint uns thematisch nicht viel anderes in den Fokus zu stellen, als den omnipräsenten objektivierenden Blick auf Weiblichkeit. Sollten „neue Zusammenhänge“ nicht nur auf Gomringers Wortkonstellationen, sondern auch auf eine gesellschaftliche Ebene bezogen sein, so sind uns diese nicht ersichtlich. Für uns fühlen sich diese Zusammenhänge eher alt und zugleich doch erschreckend aktuell an.

Zwar beschreibt Gomringer in seinem Gedicht keineswegs Übergriffe oder sexualisierte Kommentare und doch erinnert es unangenehm daran, dass wir uns als Frauen* nicht in die Öffentlichkeit begeben können, ohne für unser körperliches „Frau*-Sein“ bewundert zu werden. Eine Bewunderung, die häufig unangenehm ist, die zu Angst vor Übergriffen und das konkrete Erleben solcher führt.

Die U-Bahn-Station Hellersdorf und der Alice-Salomon-Platz sind, vor allem zu späterer Stunde, sehr männlich dominierte Orte, an denen Frauen* sich nicht immer wohl fühlen können. Dieses Gedicht dabei anzuschauen, wirkt wie eine Farce und eine Erinnerung daran, dass objektivierende und potentiell übergriffige und sexualisierende Blicke überall sein können.

Eine Entfernung oder Ersetzung des Gedichtes wird an unserem Sicherheitsgefühl nichts ändern. Dennoch wäre es ein Fortschritt in die Richtung, dass es unsere Degradierung zu bewunderungswürdigen Objekten im öffentlichen Raum, die uns Angst macht, nicht auch noch in exakt solchen Momenten poetisch würdigen würde.

Aus diesen Gründen fordern wir ... die Thematisierung einer Gedichts-Entfernung/-ersetzung im Akademischen Senat zum nächstmöglichen Zeitpunkt.

Unsere Forderungen stellen wir nicht nur als Frauen*, sondern vor allem auch als Studierende einer „Hochschule mit emanzipatorischem Anspruch[, die] dem gesellschaftlichen Auftrag Sozialer Gerechtigkeit und kritischer Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Entwicklungen verpflichtet“ ist.

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Die Stiftung Brandenburger Tor

lud nun, im März 2018, in ihr Max Liebermann Haus am Brandenburger Tor in Berlin, zu einer Diskussion über die, wegen sexistischer und frauenfeindlicher Grundstimmung bereits für den Herbst dieses Jahres beschlossene Entfernung des Gedichts von der Schulfassade ein.

Auf der Bühne:

- Der Moderator der Stiftung

- Die ASTA-Vorsitzende unter Pseudonym

- Die Prorektorin der Hochschule

- Der Dichter

Im Saal:

- 100 geladene Gäste und der Journalist der Süddeutschen Zeitung
...

Im folgenden stehen einige ausgewählte Beiträge der Teilnehmer, die Hilmar Klute in seinem Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom 28. März 2018 zitiert:

Künstlerpech
Der 93-jährige Dichter Eugen Gomringer, eine Asta-Vorsitzende und eine Rektorin: Ein Gesprächsabend in Berlin über die Frage, was die Kunst darf und was nicht, gerät zum Schauerstück.
...

- Der Moderator der Stiftung

ist den gesamten Abend über auf allgemeine Mäßigung bedacht.

- Die stellvertretenden Schulleiterin

serviert immer wieder die selbe Buchstabensuppe vom „gewaltfreien, demokratisch legitimierten und auch ideologie-, diskriminierungs- und klischeesensiblen Verfahren“, das die Entfernung des Gedichts von der Schulwand zur Folge haben sollte.

Sie deutet den öffentlich als Eingriff in die Kunstfreiheit wahrgenommenen Akt um in eine Art heiterer Aufklärungs-Performance: „Wir haben zur Kenntnis genommen, dass wir Kunst an einer Fassade haben“. – Und zuvor soll das Gedicht was gewesen sein? Ein Rezept für Pflaumenkuchen von Dr. Oetker?

Die Öffentlichkeit erlebe doch jetzt, dass sich Wissenschaft(?) und Kunst aneinander reiben.

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- Die pseudonyme ASTA-Vorsitzende

erzählt: Als sie das Gedicht vor einigen Jahren an der Fassade ihrer Schule wahrgenommen habe, habe sie mit Hilfe ihres Telefons herausgefunden, was „un admirador“ heißt. „Als ich las, dass es ‚ein Bewunderer‘ bedeutet, hat sich mir der Magen zusammen gezogen.“

Das Gedicht spiegele ein Geschlechterbild wider, das nicht das der „ihren“ ist. Obwohl sie „auf Frauenebene“ gerne sagen würde, was für ein „schönes Gedicht“ „Avenidas“ sei, müsse sie mit ihrem „sozialarbeiterischen“ Blick doch auf der Regel bestehen, dass Kunst auch den „Blick auf people of coulouor in nicht emanzipatorischer Weise reproduzieren“ könne(?).

„Politische Korrektheit ist ein rechter Kampfbegriff, der benutzt wird, um emanzipatorische Bestrebungen platt zu machen.“

Studenten, die sich durch undurchschaubare Sprachzeichen auf einer Fassade verwundet fühlen, kämpfen um ihr Recht auf seelische und ideologische Unversehrtheit.

Alltagssexismus ist ein wichtiges Thema, das diskutiert werden muss.

Ein Student klärt den Dichter auf: Sprache hat nun mal „ne Bedeutung“. Und es sei der Fehler des Dichters, dass er, der Student, noch keine "Position von ihm gehört" habe.

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- Der Dichter

Er schrieb „Avenidas“ 1953. Eben dieses Gedicht zählt zu den Urtexten der „Konkreten Poesie“. Das „konkrete Gedicht“ ist eine sprachliche Demonstration, in dem Sprache keine Verweisfunktion mehr hat. „Kein Gedicht über“, sondern eine „antipoetische Meditation“. Die Konkrete Poesie wird nicht zuletzt auch verstanden als ein Gegenpol zu sprachlicher Reizüberflutung (1950er Jahre!).

„Alleen, Frauen, Bäume, sind charmante Wörter, die sich schön sprechen lassen.“

Der Dichter macht mit paternalistischen Wörtern und Rabulistik Front gegen junge Leute, die Angst vor Sprache haben. Seiner Ansicht nach gehe es bei dieser Veranstaltung auch nicht um die Frage, was Kunst dürfe, sondern vielmehr darum, was sie nicht dürfe.

Die Studenten monieren, dass die Entscheidung, das Gedicht vor Jahren an der Schulfassade anzubringen, ohne demokratischen Prozess gefallen und damit nicht legitimiert sei. Der Dichter dazu: „Ich frage mich, was zwischen 2011 und 2017 an dieser Schule eigentlich passiert ist. Wann hat das angefangen, dass eine Schule ein Gedicht nicht mehr sehen kann? Kunst wird nicht besser durch ein demokratisches Verfahren.

Kunst darf heutzutage nur noch in einem „antiseptischen Raum“ stehen. Seine Mahnung: So ähnlich wie an der Hochschulwand in Berlin-Hellersdorf hat die Bücherverbrennung begonnen.

"Wenn es zum Ernstfall – der Entfernung des Gedichts von der Fassade – kommt, dann müssen Sie sagen, warum es entfernt wird, und nicht auf diese dümmliche Weise. Das verlange ich."

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- Stimmen aus dem Publikum und vom Journalisten

Die Tochter des Dichters:
Selbst eine bekannte Dichterin und bekennende Feministin, fragt die ASTA-Sprecherin, warum sie sich nicht einfach einen Anwalt genommen und auf die Entfernung des Gedichts bestanden habe – „ohne diese PR-Veranstaltung“.

Die Frau des Dichters:
Die ASTA-Sprecherin fordert unter Pseudonym ständig Respekt, lässt aber jeden Respekt vor dem Dichter vermissen, der mit vollem Namen dasteht.

Der Journalist der Süddeutschen Zeitung,
Hilmar Klute:

Bald wird an der Fassade der Schule ein neues Gedicht stehen, ganz so, als löse das ein altes Problem.

Interessant war, dass eine Frau, deren Sprache vollgestopft ist mit Begriffen wie Emanzipation, Gerechtigkeit und demokratischem Verfahren, so felsenfest hinter der paternalistischen und autoritären Geste steht, eine Kunstäußerung dringend aus dem öffentlichen Raum entfernen zu wollen.

Ein eigenartiges Lehrstück und eigentlich ein Schauerstück im einstigen Haus des Malers Liebermann im Schatten des Brandenburger Tores. Es zeigt, wie alt junge Leute aussehen können, die sich im Kopf durch nichts mehr bewegen lassen; Die ihre autoritären Begriffs-Stereotypen auf Teufel komm raus gegen das Abenteuer der Schönheit und der Sprache behaupten wollen.

Der Abend enthüllt zudem, wie ein Schriftsteller, der sich ein Leben lang mit der Unberechenbarkeit der Wörter beschäftigt hat, am Ende feststellen muss, dass diese Wörter auch böswillig gegen ihn gerichtet werden (können).

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- Aus Leserbriefen, 5.2.2018 SZ

... Denen, die in harmlosen Gedichtzeilen unziemliche Anmache wittern, empfehle ich ein muslimisches Frauengewand: Es schützt vor Männerblicken - auch vor den eventuell "bewundernden". Als Trost sei ihnen gesagt: Wenn sie erst altersmäßig ein gewisses Verfallsdatum erreicht haben, hört sich das sowieso auf. Dann mag manche Frau an die Zeit zurückdenken, als sie blumengeschmückte Alleen entlangspazierte und ihr bewundernde Blicke folgten...

Sybille Böhm, München

Es ist erschreckend zu sehen, dass viele junge Frauen anscheinend inzwischen überall sexistische Übergriffe vermuten. Sei es in Wort oder Tat. Ohne das Wort alleine und es auch im Zusammenhang zu verstehen. Ohne Kultur und Kulturschätze gelten zu lassen und damit Zensur zu üben...

Hier wird selbstsicher, bewusst und bestimmt kultureller Niedergang betrieben. Mit Kunst und künstlerischer Freiheit hat das nichts zu tun. Hier sind einfach nur Spießer am Werk.

Gerlinde Bittner, Hof

Der Akademische Senat einer Hochschule in einem freien, rechtsstaatlichen, demokratischen Land opfert die Freiheit der Kunst der ideoligisch verengten Welt- und Kultursicht einer kleinen Minderheit ultrafeministischer Studentinnen. In dem inkriminierten Gedicht bewundert ein Mann Frauen, ohne sich ihnen zu nähern. Wer das Sexismus nennt, hat den Glauben an ein normales menschliches Miteinander verloren.

Was kommt als nächste Forderung im Namen des Genderwahns, Trigger-Warnungen in Goethes oder Heines Liebeslyrik? Wie hat sich der seit April 2016 schwelende Streit um das Fassadengedicht wohl auf die Atmosphäre an der Alice-Salomon-Hochschule ausgewirkt? Beim hochschulinternen Online-Voting hat sich zwar eine Mehrheit für die Eliminierung des Gedichts ausgesprochen, aber wie fühlen sich diejenigen, die nicht der Meinung waren, dass "avenidas" kein Platz an der Hochschulfassade gebührt?

In dieser Sache kann man nicht gleichgültig bleiben, hier werden grundsätzliche Fragen aufgeworfen.

Therese Deitermann, Ahaus

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"ROSIE", Don Partridge, 1968.
Mein Sexismus-Lied #1 - Karlheinz

Rosie, oh Rosie
I'd like to paint your face up in the sky
Sometimes when I'm busy
Relaxing I look up and catch your eye

Your eyes when they're widening
Bring thunder and lightning
And sunset strokes the colour of your skin
Your eyes are so blue
I just think of a blue sky
And bumble bees buzzing on the wing

Rosie, oh Rosie
It's raining when you look the other way
Rosie, oh Rosie
Your laughter brings the sunshine out to play

And though I just met you
Will I silhouette you
Or high-light golden shadows in your hair
I'd paint in your mind's eye
Up there in the blue sky
Summer birds swinging through the air

Rosie, oh Rosie
I'd paint your face for all the world to see
Rosie, oh Rosie
I'd like to paint your face eternally

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"Blockgedicht"
Gomringer bleibt in Berlin

VON EPD
Süddeutsche Zeitung, 6. April 2018

Die im Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf ansässige Wohnungsgenossenschaft "Grüne Mitte" will das Gedicht "avenidas" des bolivianisch-schweizerischen Künstlers Eugen Gomringer an einem ihrer Wohnblocks anbringen. Vorstand Andrej Eckhardt sagte, die Genossenschaft sei auf Initiative eines Mitglieds auf den Autor zugegangen. Inzwischen sei ein Vertrag mit ihm unterschrieben. Mit der technischen Umsetzung rechne Eckhardt im Laufe des Jahres.

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