•••BLÖÖK
21.1.2018


Wir brauchen öffentlich-rechtliche Quellen der Information, um die gemeinsame Wirklichkeit, um das allen Gemeinsame zu bewahren

Ohne Institutionen, die der Allgemeinheit verpflichtet sind, die die Würde des Menschen zu achten haben, die Informationen prüfen und gewichten müssen, wäre die Auseinandersetzung um das, was gerecht, was begründbar, was universal gültig ist, schon verloren.

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Exzerpt des Artikels:
Gemeinnutz
Die Haltung, nur das finanzieren zu wollen,
was auch den eigenen Geschmack spiegelt,
hat etwas erstaunlich Regressives
Süddeutsche Zeitung
Samstag/Sonntag, 20./21. Januar 2018
VON CAROLIN EMCKE


Obwohl das Schwimmen in Öffentlichen Bädern aus verschiedenen, mehrheitlich von mir selbst zu vertretenden Gründen (Frostbeule, Kontrollegoismus, diverse Ordnungs-, Autoritäts-Allergien...) nicht zu meiner Vorstellung des guten Lebens gehört, bin ich mit Nachdruck dafür, dass es staatlich gefördert wird. Obwohl ich das Angebot nicht wahrnehme, finde ich es unbedingt richtig, dass ich es durch meine Steuern mitfinanziere. Mir leuchten Schwimmbäder als öffentliche Räume ein, die manche aus verschiedensten Gründen lieben (Überlebenstechnik Schwimmen lernen!, soziale Kontakte, Gesundheits-, Konditionsverbesserung...).

Etwas muss mir nicht gefallen und nicht meinen individuellen Neigungen entsprechen, damit ich es für wertvoll halten und es öffentlich wollen kann. Ich erwarte von einem Staat nicht, dass er nur das fördert, was mit meinen partikularen Bedürfnissen oder denen meiner Lebenswelt korrespondiert.

Ich erwarte stattdessen, dass jene Infrastrukturen erhalten werden, die das soziale Miteinander aller bedingen und ermöglichen. Orte des Lernens und der Fürsorge, Instrumente des Transports und der Vernetzung, Institutionen der Information und demokratischen Willensbildung.

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In der Schweiz wird am 4. März 2018, per Volksentscheid über die sogenannte No-Billag-Initiative abgestimmt. Über die Frage, ob ein Passus in die Bundesverfassung aufgenommen werden solle, der es dem Staat untersagen würde, Empfangsgebühren zu erheben oder Radio- und Fernsehsender zu subventionieren. Die Billag ist die schweizerische Erhebungsstelle für diese Beiträge. Würde die Vorlage angenommen, wäre es das Ende der Finanzierung der 17 Radio- und sieben Fernsehstationen, die zusammen die Radio- und Fernsehgesellschaft der Schweiz (SRG) ausmachen - und damit das Ende der SRG und ihrer 6000 Mitarbeiter.

Sich für etwas einzusetzen, das der Res publica dient, ist nachhaltiges Eigeninteresse

Unter den vielen schwachen Argumenten der Gegner der Gebühren ist jenes, persönlich nutze einem das Angebot nichts, eines der schwächsten. Die Haltung, nur das finanzieren zu wollen, was auch den eigenen Geschmack oder die eigene soziale Gruppe spiegelt, hat etwas erstaunlich Regressives. Als ob Menschen, die keine Kinder haben, sich weigern würden, öffentliche Kindergärten oder Schulen zu finanzieren, weil sie glauben, sie profitierten nicht davon, oder Menschen, die sehen können, keine Brailleschrift an Ampeln akzeptieren würden. Das ist zu kurz gesprungener Egoismus. Sich für etwas einzusetzen, das der Res publica dient, ist kein elitärer Altruismus, sondern schlicht nachhaltiges Eigeninteresse.

Dass die für eine Demokratie existenziellen Informationen auch von privaten Sendern und vom Pay-TV angeboten werden (könnten?) und der „freie Markt“ regeln könn(t?)e, welche Formate „gewünscht“ und gebraucht würden, wird jüngst ausgerechnet vom notorischen Kritiker des öffentlich-rechtlichen Systems, dem Schweizer Journalist Roger Schawinski, infrage  gestellt: Die Werbeeinnahmen, die es für einen privaten Anbieter bräuchte, um ein hochwertiges Informationsprogramm zu gestalten, seien kaum zu erzielen. Abonnement-TV wiederum sei ökonomisch nur für Sport, Film und Pornos erfolgreich.

Rechte Bewegungen und Parteien sehnen sich nach sozialer und kultureller Zersplitterung

Es sind nicht nur libertäre, sondern auch rechtsradikale Bestrebungen, die eine Institution ausschalten wollen, die einem allgemeinen Gut dienen soll: Der Möglichkeit, sich zu informieren und sich über die gemeinsam geteilte Welt zu verständigen. Es geht nicht einmal darum, die Legitimität (Berechtigung) oder Qualität der öffentlich-rechtlichen Sender zu bezweifeln, sondern darum, zu bestreiten, dass es das überhaupt geben kann:

Etwas allen Gemeinsames.

Der radikale Angriff, den rechte Bewegungen und Parteien führen, entspringt der Sehnsucht nach sozialer und kultureller Zersplitterung.

Deswegen wenden sie sich gegen alle jene, die eine gemeinsame Wirklichkeit vermitteln,

die unterscheiden zwischen

Belegen und Behaupten,

Wissen und Vermuten,

Kritisieren und Zensieren,

Wahrheit und Dichtung,

Aufklärung und Stenografie oder auch

Journalismus und Lobbyismus.

Das "Unwort des Jahres" war 2014 "Lügenpresse". Im Jahr 2017 ist es "Alternative Fakten". Das ist kein Zufall. Das ist das Symptom eines Strukturwandels der Öffentlichkeit. Eines Wandels, der die Frage aufwirft, wie in offenen, demokratischen Gesellschaften Wissen (anstatt Desinformation) vermittelt werden kann. Die Monopolisierung der Distribution (Vermittlung, Verbreitung durch eine konkurrenzlose Quelle) von Informationen durch Unternehmen wie Facebook, die intransparente Agitation von Lobbyorganisationen und Geheimdiensten - das ist die eigentliche Herausforderung.

Öffentlich-rechtliche Sender gehören massiv kritisiert für ihre bürokratische Lethargie, ihr mitunter fahrlässig geschmacklos schrottiges Programm, ihre voyeuristische Lust am populistischen Eklat, ihren Quoten-Fetischismus und ihre fehlende Diversität.

Aber gäbe es sie nicht schon, müsste man sie erfinden. Ohne Institutionen, die der Allgemeinheit verpflichtet sind, die die Würde des Menschen zu achten haben, die Informationen prüfen und gewichten müssen, wäre die Auseinandersetzung um das, was gerecht, was begründbar, was universal gültig ist, schon verloren.

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