•••BLÖÖK
11.1.2018


Dornröschen: "MeToo"!?
Sind jetzt alle
verrückt geworden?

Es ist ein veralteter Feminismus, der mit überkommenen Zerrbildern arbeitet, der die Frauen als Beute in den Fängen der männlichen Raubtiere und in der Rolle des Opfers einsperrt. Eine Frau hat die Wahl, sie kann Nein sagen und mit ihrem Namen für ihre Beschuldigung einstehen. Freiheit heißt, im eigenen Namen zu sprechen. Eine Stimme, die sich anonym, in der Masse, im Netz versteckt, ist keine Stimme der Freiheit. Kulturelle Zensur führt uns in ein dunkles Zeitalter des Puritanismus.

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Exzerpt des Artikels:
Eine Frau kann Nein sagen
INTERVIEW mit CATHERINE MILLET
von ALEX RÜHLE

Süddeutsche Zeitung
Donnerstag, 11. Januar 2018


Hundert französische Frauen veröffentlichten in der Tageszeitung Le Monde einen offenen Brief. Darin warnen sie vor überzogenen Reaktionen im Rahmen der „MeToo“-Debatte, und vor dem „Klima einer totalitären Gesellschaft“. Angesichts einer  „Denunziationskampagne“ gegen Männer im Netz verteidigen sie „die Freiheit, jemanden zu belästigen, die für die sexuelle Freiheit unerlässlich ist“.

Catherine Millet*) im Interview mit Alex Rühle:

*), geboren 1948, leitet seit 1972 die Kunstzeitschrift Art Press. Berühmt wurde sie mit ihrem Buch „La vie sexuelle die Catherine M.“ (2001). Zuletzt erschien von ihr auf Deutsch „Traumhafte Kindheit“ (Secession).

Wir bekommen viel Zuspruch. Im Netz werden wir scharf angegriffen, aber das ist normal, wenn man Flagge zeigt.

Ich bin überzeugt, dass sich der Staat möglichst wenig in die Beziehungen zwischen Männern und Frauen einzumischen hat. Die sexuelle Freiheit, die wir heute genießen, beinhaltet auch Gesten und Signale, die unangenehm sein können. Mittlerweile führt die Debatte zur öffentlichen Verurteilung von Männern, die sich irgendwann mal zu energisch oder unternehmungslustig einer Frau gegenüber verhalten haben.

Es war ganz klar notwendig, ein Bewusstsein für sexuelle Gewalt gegen Frauen zu schaffen. Aber das Ganze ist übers Ziel hinausgeschossen.

Ich kenne kaum reaktionäre Männer. Aber viele der Frauen, die sich zu Wort melden, hängen einem veralteten Feminismus an. Es ist doch völlig übertrieben, heute noch von einer patriarchalischen Gesellschaft zu sprechen und von einem Geschlechterkrieg zu raunen. Es gibt Gesetze gegen Vergewaltigung und sexuelle Übergriffe. Man kann sich also juristisch wehren.

Diese Frauen aber schweigen erst über Jahre. Und wählen dann das öffentliche Tribunal. Die angeklagten Männer können sich nicht dagegen wehren. In Le Monde schrieb kürzlich der Unternehmer Eric Brion über die Hexenjagd, die im Internet gegen ihn losbrach, nachdem die Journalistin Patricia Muller ihn der sexuellen Belästigung beschuldigt hatte.

Was mich stört, ist dieses plötzliche Kesseltreiben im Netz. Nicht alle Männer, die sich mal danebenbenommen haben, sind Vergewaltiger oder Besessene. Einen galanten Mann finde ich angenehm. Was Anzüglichkeit und Flegelhaftigkeit, weitere Anmachstadien betrifft, von denen Isabelle Adjani meint, sie würden die Opfer(innen) ihrer Belästiger einschüchtern und gefügig machen, die sind nun einmal Teil dieser Welt. Die perfekte Welt, in der sich alle tadellos verhalten, hat es noch nie gegeben.

Wenn ich damit „allen Schweinen“ Carte blanche gebe, dann ist mir das egal. Ich fühle mich von diesen Schweinen nicht bedroht. Juliette Binoche hat in einem Zeitungsbeitrag erklärt, dass sie sich in einer ähnlich heiklen Situation schlicht geweigert hat. Eine Frau hat die Wahl, sie kann Nein sagen.

Entgegen den viel beklagten patriarchalischen Machtverhältnissen haben heute die Frauen in vielen Bereichen die Hosen an. Im Kunstbetrieb gibt es genauso viele mächtige Frauen wie Männer, Kuratorinnen, Direktorinnen...

Wenn ich Frauen, die sich jetzt outen, sage, sie hätten längst Nein sagen können, dann sage ich noch einmal: Missbrauch ist justitiabel (mit Androhung von Strafe gesetzlich verboten). Aber mich stört der Opferdiskurs vieler Frauen. Sie bezeichnen sich als Opfer, weil Männer sie wegen eines Minirocks als Schlampe bezeichnen oder ihnen in der U-Bahn an den Hintern fassen. Meines Erachtens sind das harmlose Vorkommnisse. Eine „normale“, selbstbewusste Frau, der so etwas passiert, kann dem Typen in der U-Bahn eine schmieren oder sich anders wehren.

Ich pathologisiere* Frauen nicht, die sich als Opfer sehen (*ich stelle sie nicht in eine krankhafte Ecke). Aber diese Feministinnen, die die Frauen als Beute in den Fängen der männlichen Raubtiere bezeichnen, arbeiten mit überkommenen Zerrbildern. Elisabeth Badinter hat schon vor 15 Jahren in ihrem Buch „Fausse route“ den Feministinnen vorgeworfen, die Frauen in der Rolle des Opfers eizusperren.

Ich finde es schade, dass die Salafistin Henday Ayari erst aufgrund der Weinstein-Affäre den Mut gefunden hat, zu schreiben, dass Tariq Ramadan sie vergewaltigt hat. Aber immerhin ist das ein präziser Fall, in dem eine Frau mit ihrem Namen für ihre Beschuldigungen einsteht. Aber all die Frauen, die jetzt anonym im Netz rummunkeln – das ist mir suspekt. Freiheit heißt, im eigenen Namen zu sprechen. Eine Stimme, die sich in der Masse versteckt, ist keine freie Stimme. Indem wir mit unserem offenen Brief namentlich Einspruch erheben, sind wir diejenigen, die im Namen der Freiheit sprechen.

Es gibt Pariser Viertel, in denen es sehr schwer ist, alleine rumzulaufen, ohne beleidigt oder belästigt zu werden. Das muss man gesetzlich regeln. In diesem Sinne hat die Staatssekretärin für Frauenrechte, Marlène Schiappa, für 2018 eine Reform des Sexualstrafrechts angekündigt, auch um eine bessere Unterscheidung zwischen einem einfachen Kompliment und sexueller Belästigung zu erreichen. Aber deshalb muss man nicht jedes Hinterherpfeifen vor den Richter schleifen.

Wenn Puritanismus zu kultureller Zensur führt, wäre das furchtbar. Die Debatte um Polanski, um den Maler Balthus oder um andere Künstler sollte uns auf keinen Fall davon abhalten, ihre Werke anzusehen. Ich bin gegen jede Form von Zensur. Die Frauen, die vor der Cinémathèque francaise demonstrieren, führen uns in ein dunkles Zeitalter des Puritanismus. Gestern habe ich von einer Engländerin gehört, die sagt, man müsse Dornröschen verbieten, weil die dem Prinzen nicht erlaubt hat, sie im Schlaf zu küssen.

Sind jetzt alle verrückt geworden?

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