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24. Dezember 2017


Prof. Dr. Peter Strohschneider, Präsident
der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG):

Über Wissenschaft in Zeiten des Populismus

Für die Freiheit der Wissenschaft

Gegen Wahn und Lüge, vulgären Zynismus, nacktes Machtkalkül, unverantwortliche Simplifizierung und Anti-Intellektualismus

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Rede anlässlich der Festveranstaltung im Rahmen der Jahresversammlung der DFG, am 4. Juli 2017 in Halle (Saale), Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, Jägerberg

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Es gilt das gesprochene Wort:
Video-Mitschnitt


Meine sehr verehrten Damen und Herren!

"Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei." 

So steht es in Artikel 5, Absatz 3, Satz 1 unseres Grundgesetzes. So unzweideutig auch hat die Rechtswissenschaftlerin und Bundes-Verfassungs-Richterin Susanne Baer diesen Satz im Jahr 2015 bei der Festversammlung der Deutschen Forschungs Gemeinschaft in Bochum zitiert. Und sie hat gezeigt, dass, was sich wie eine Natur Gegebenheit ausnimmt, vielmehr eine Aufgabe ist:

Wissenschafts Freiheit entsteht aus jener Verantwortung, die wir für sie zu übernehmen bereit sind. 

Wie hat sich seit Frau Baers Rede die Welt verändert! Schwerlich hätten wir uns ausmalen können, in welchem Maße in diesen zwei Jahren zu einer drängenden Herausforderung geworden ist, was hierzulande als Grundrecht gewährleistet ist und bleibt.

Wer meinen mochte, Wissenschaftsfeindlichkeit und populistischer Anti-Intellektualismus liefen eben als Rauschen öffentlicher Kommunikation nebenher mit und Leugnung des menschengemachten Klimawandels oder Furcht vor dem Impfen werde kaum über konventikelhafte Zirkel hinausgreifen, der sieht sich längst eines Schlechteren belehrt.

Wahn und Lüge, vulgärer Zynismus, nacktes Machtkalkül und unverantwortliche Simplifizierung beweisen erneut ihre Geschichtsmächtigkeit – auch gegenüber der Freiheit der Wissenschaft. 

Ein halbes Jahr nach Amtsantritt ist deutlich, dass von einer Zivilisierung des neuen US-Präsidenten im Regierungsalltag keine Rede sein kann. Ein Kreationist als Vizepräsident, ein Öl-Lobbyist in der Umweltbehörde, Maulkorberlasse für NIH-Direktoren, Drohungen gegen liberale Universitäten: Das Wort vom „Politikwechsel“, hier ist es tatsächlich angebracht. 

In der Türkei geht mit dem Zusammenbruch des Rechtsstaats in den vergangenen zwölf Monaten die Kriminalisierung aller kritischen Intelligenz einher und eine, man muss sagen: „Säuberung“ der Universitäten – die, so meinten wir zu wissen, doch Teil des europäischen Hochschulraums sind.

Und in Ungarn versucht der Ministerpräsident, unverhohlen antisemitisch grundiert, eine Privatuniversität mitten in der Europäischen Union in die Schließung zu treiben, weil deren Stifter ihm missliebig scheint. Es verbietet sich, wie Herr Bundespräsident Steinmeier sagte, zu schweigen, „wenn der Zivilgesellschaft, selbst der Wissenschaft […] die Luft zum Atmen genommen wird.“ 

Den Autokraten und Populisten, auch in der Bundesrepublik, wird freie Wissenschaft zum Objekt von Insinuation (Unterstellung) und Verdächtigmachung. Massiv verbreiten sie Expertenmisstrauen, der Austausch von Argumenten als Verständigungsbasis offener Gesellschaften wird aufgekündigt.

An seine Stelle tritt jene neue Form einer Dialektik der Aufklärung, dass gute Argumente gebildeter Personen zu Ressentiments (Empfindungen negativen Inhalts) gegen Bildung und gute Argumente führen (Karsten Fischer). Populistische Vereinfachungen und autokratische Durchgriffsideologien verheißen, den Zumutungen der modernen Welt schadlos entkommen zu können. Deswegen machen sie den sachlichen Diskurs ebenso verächtlich wie die methodische Wahrheitssuche und die Begründungsbedürftigkeit von Geltungsansprüchen. Übrig bliebe dann die Ordnung der alternative facts, der alternativen Fakten. Was in dieser Ordnung gälte, wäre bloß noch vom Herrschaftswillen des jeweiligen Machthabers abhängig. 

Gegen solche tektonischen Verschiebungen der politischen Kommunikation und für die Freiheit von Forschung und Lehre in pluralistischen Gesellschaften organisierte sich Ende April dieses Jahres der March for Science; Viele haben teilgenommen, ich auch. Es war ein bemerkenswertes Ereignis, aber doch nur ein einzelner Schritt. 

Es wird nämlich auch in Zukunft für aufgeklärte Gesellschaften gestritten werden müssen.

Und dabei können die Wissenschaften nur erfolgreich mittun, wenn sie ihren eigenen Prinzipien folgen. Und das heißt zunächst, es muss präzise geklärt sein, worum es geht. Und worum nicht. 

Nicht dass andere anderes für wahr halten als wir selbst, ist das eigentliche Problem. Was sonst sollte der Pluralismus der Moderne denn sein? Das eigentliche Problem ist auch nicht, dass Donald Trumps war against the media etwa die Unterscheidbarkeit von Wahrheit und Lüge beseitigen würde. Das tut er nicht. Er setzt sie im Gegenteil gerade voraus; Anders wäre von fake news ja gar nicht zu sprechen. 

Die verbreitete Rede vom Postfaktizismus verfehlt also die Sachlage. Mehr noch, sie verstellt den Blick darauf, dass die Denunziationsvokabeln von „Lügenpresse“, „Expertengeschwätz“ oder „Lügenwissenschaft“, dass diese Denunziationsvokabeln eine Verschiebung versuchen: An die Stelle des Sachverhalts-Bezugs rücken sie einen Macht-Bezug: Wer sich dem Machtanspruch beugt, sage die Wahrheit, alle andern seien Lügner. Wahrheit wird zur Funktion von Macht. 

Hiergegen lässt sich allerdings nicht wirksam streiten, indem man umgekehrt die Legitimität von Macht als eine Funktion von Wahrheit zu bestimmen sucht. Moderne Forschung ist pluralistisch.

Forschung erzeugt keine Gewissheiten, Forschung erzeugt methodisch verlässliches Wissen. Sie sagt, was der Fall ist und was gegebenenfalls dahintersteckt (Niklas Luhmann). Sie kann nicht sagen, was alternativlos der Fall sein sollte

So sehr daher Demokratie in praktisch jeder Hinsicht wissenschaftlicher Informierung bedarf, so sehr ist sie mehr als bloß die Exekutierung von Forschungsergebnissen. Schon Hannah Arendt wusste, dass „vom Standpunkt der Politik aus gesehen“ der technokratische Sachzwang „despotisch“ ist. 

Freilich: Im nötigen Widerspruch gegen populistische Wissenschaftsfeindlichkeit – auch dies war beim March for Science zu beobachten – profiliert sich derzeit eine Auffassung neu, welche die demokratischen Prinzipien unterläuft. Ihre Parole lautet „Für alternativlose Fakten, für wissenschaftliche Evidenz, für Wahrheit in der Politik“ (Kathrin Zinkant, SZ v. 11./12.2.2017, „Auf die Barrikaden!“). 

Das ist die Parole der Szientokratie. Sie verwechselt unzweideutige Fakten mit ambivalenten politischen Folgerungen. Sie verkennt, dass keineswegs für alle dasselbe evident ist. Sie sieht politische Macht durch Wahrheit anstatt durch Mehrheit und Verfassung legitimiert. Und gleich den Autokraten und Populisten, gegen die sie sich wenden will, ist sie „ihrer inneren Logik nach antipluralistisch“ (Jan-Werner Müller). 

Doch in den Streit für die pluralistische Moderne und gegen vulgäre Forschungsfeinde eintreten können Studenten, Wissenschaftlerinnen, Forscher allein dann, wenn sie sich nicht als Instanz des Wahrheitsbesitzes verstehen, sondern als diejenige der rationalen, methodischen Suche nach Wahrheit. Unser Wissen steht unter Revisionsvorbehalt – allein dann ist ja an Erkenntnisfortschritte zu denken; Wir müssen kollektiv bindende Entscheidungen zwar informieren, können sie aber nicht selbst treffen.

Die Wissenschaft hat kein politisches Mandat
und es fehlt ihr auch nicht.

Und allein wenn wir uns in dieser Weise ernst nehmen, können wir unser Teil dazu beitragen, dass die Unterscheidung von Wahrheit und Lüge auch in Zukunft auf Sachfragen bezogen bleibt und nicht auf Machtfragen.

An dieser Stelle liegt eine entscheidende Verantwortung moderner Wissenschaften. Ihr können sie allein gerecht werden, wenn sie auch mit sich selbst verantwortlich umgehen. 

Damit ist ein sehr weites Feld angesprochen – von der Qualität des Studiums bis zur Chancengleichheit, die ein wichtiges Thema auch dieser Jahresversammlung ist. Ich will mich auf zwei andere Aspekte verantwortlicher Wissenschaft konzentrieren: Die Seriösität der Erkenntnisgewinnung und die Seriösität unserer Leistungsversprechungen gegenüber der Gesellschaft. 

Gute wissenschaftliche Praxis: Dies ist der Titel für ein komplexes Problembündel heutiger Wissenschaften. Zu ihm gehören Plagiat und Fälschung, Autorschafts- und Zitierungsfragen, aber auch laxe und überhastete Forschungsweisen und zudem all das, was derzeit als Krise der Replizierbarkeit empirischer Forschung mit breiter, auch öffentlicher Aufmerksamkeit intensiv diskutiert wird. 

Dabei geht es um Standards wie um Anstand: Was sich von selbst verstehen sollte, ohne es doch immer zu tun, wird formal reguliert und muss prozeduralisiert werden. Das ist notwendig und aller Anstrengung wert. Es eröffnet indes – unhintergehbare Paradoxie jeder Formalisierung – zugleich neue Felder persönlicher Auseinandersetzung: Der Anonymitätsschutz des Whistleblowing ist wichtig, weil er Hierarchieschranken zu durchbrechen erlaubt. Aber gegen den Missbrauch für Insinuation und Denunziation ist er nicht gefeit. Und so kann es unter dem taktisch gezielten Einsatz von Zeitdruck und Publizität auch dahin kommen, dass Personen oder Organisationen in die Lage geraten, so oder so allein noch falsch entscheiden zu können. 

So befand sich die DFG, als sie im März die Verleihung des Leibniz-Preises an Frau Nestler aussetzte. Das war eine schwere Entscheidung, und sie war auch für Frau Nestler noch schwerer zu ertragen. Gleichwohl hoffe ich, dass Sie sie, wenn schon womöglich nicht billigen, so doch nachvollziehen können. Jedenfalls freut es mich sehr von Herzen, dass wir vorhin die Preisverleihung des Leibniz-Preises haben nachholen können.

Dennoch muss der Vorgang zu denken geben. Denn auch die Erhebung ungerechtfertigter Vorwürfe in der Art und Weise, wie sie Frau Nestler widerfahren ist, gehört in die Symptomatologie jener Dysfunktionen von Wissenschaften, von der ich hier spreche. Diese Dysfunktionen haben stets eine persönliche Ebene, und im Fehlverhaltensfall muss dann auch individuell sanktioniert werden. Aber sind wir denn gewiss, dass solche Konflikte sich nicht besorgniserregend überproportional häufen und dass angesichts dessen nicht auch Entwicklungstrends des Wissenschaftssystems selbstkritisch zu bedenken sind? 

Der Senat hat gestern über eine Stellungnahme der DFG hierzu diskutiert. Sie versucht differenziert deutlich zu machen, dass Nicht-Replizierbarkeit eines Resultats dieses weder widerlegt noch schon in jedem Fall schlechte Wissenschaft beweist; Dass sehr wohl allerdings, was unterdessen als „Reproduktionskrise“ diskutiert wird, auch dann zu ernster Sorge Anlass gibt, wenn es „auf eine Mehrzahl von Ursachen zurückzuführen“ ist. 

Es ist hier ein „Qualitätsproblem von Forschung“ angezeigt, und für dieses gibt es „neben individuellem Fehlverhalten […] auch strukturelle Gründe“ (hiernach und im Folgenden: Replizierbarkeit von Forschungsergebnissen. Eine Stellungnahme der DFG, April 2017). Auch über sie ist zu sprechen. Also etwa über das viel zu große Gewicht „von quantitativ parametrisierenden Steuerungs-, Bewertungs- und Gratifikationssystemen“, das sich längst „auf die Forschung als gestiegener (und weiter steigender) Wettbewerbs- und Beschleunigungsdruck aus[wirkt].“ Auch werden Trennlinien zwischen wissenschaftlichem Ideenwettbewerb, Konkurrenz um Finanzmittel und dem Marketing von Wissenschaftseinrichtungen zunehmend unscharf. „Die notwendige skrupulöse Sorgfalt“ in der Forschung „muss eher gegen diesen Wettbewerbs- und Beschleunigungsdruck durchgesetzt werden, als dass sie von ihm befördert würde.“ Und dies muss uns allen zu denken geben, die wir für die Wissenschaften Verantwortung tragen: im Publikationswesen, bei Personalfragen und auch – ich sage dies durchaus in meiner Amtsfunktion – bei Finanzierungsentscheidungen. 

Ich fürchte, das hier angedeutete Qualitätsproblem der Forschung ist gravierend. Es ist zugleich ein Vertrauensproblem moderner Wissenschaften überhaupt.

Wissenschaften aber können ohne die Glaubwürdigkeit der Forschenden und ohne die Vertrauenswürdigkeit des Wissenschaftssystems insgesamt nicht funktionieren – bei weitem zu komplex ist ihr Wissen, bei weitem zu weltverändernd seine Kraft.

Das populistische Experten-Bashing untergräbt dieses Vertrauen gezielt. Deswegen muss es zurückgewiesen werden.

Doch haben wir uns auch einzugestehen, dass wir es dem Experten-Bashing in mancher Hinsicht auch zu leicht machen – wegen Fällen kritikwürdiger Forschungspraxis (wie gesagt), aber auch, weil wir aufs Ganze gesehen mehr verheißen, als wir erfüllen können. 

Diese Vollmundigkeit liegt freilich nahe: Ansprüche an die direkte und kurzfristige Effektivität wissenschaftlichen Wissens wachsen ebenso wie die Härte der Verteilungskämpfe, und dies lädt geradewegs dazu ein, immer Größeres zu versprechen und die Nebenwirkungen immer kleiner zu reden. Allzu oft wurde die Energiefrage schon abschließend technisch gelöst, und der Segen individualisierter Medizin wird so beredt beschrieben, wie die sozioökonomischen Verteilungsprobleme beschwiegen werden, mit denen sie einhergehen wird. Der Krebs ist längst abgeschafft, wenn wir uns selbst glauben, wenn nicht sogar die menschliche Sterblichkeit.

Solche Verheißungen sind riskant. Sie bergen die Gefahr struktureller Selbstüberforderung von Wissenschaft. Sie wecken Erlösungshoffnungen, die jedenfalls kurzfristig eher enttäuscht als erfüllt werden. So wird das gesellschaftliche Ansehen von Wissenschaft nicht gesteigert, sondern gemindert: Unerfüllte, gar unerfüllbare Verheißungen erzeugen Glaubwürdigkeitslücken. 

(Nicht vorgetragen: Vertrauen aber erhalten und gewinnen wir allein, wenn auch die Voraussetzungen und Grenzen jedes Wissensanspruchs offengelegt werden, wenn die Differenzen zwischen sorgfältiger Forschungspraxis und alltäglichem Handeln deutlich gezogen werden und wenn die Leistungsversprechungen der Forschung seriös sind – weniger ist hier mehr.) 

Meine zwei Beispiele – verkürzt, wie ich sie darstellte – sind Aspekte einer kritischen Diagnose unseres Wissenschaftssystems. Ich fürchte, dass wir uns ihr ernsthaft stellen müssen, und ich glaube, dass wir das in reflektiertem Selbstbewusstsein auch können. Und wenn die angedeutete Diagnose wenigstens in die richtige Richtung weisen sollte, dann ist sie individuell ebenso zu bedenken wie bei der institutionellen Gestaltung des Wissenschaftssystems. 

Wissenschaft – befasst mit dem Noch-Nicht-Gewussten und mit der Störung etablierten Wissens durch neue Erkenntnisse – kann nicht funktionieren ohne die Redlichkeit derer, die sie betreiben. 

Diese Redlichkeit ergibt sich als Verpflichtung auf die Integrität von Forschung aus der Freiheit, die ihr garantiert ist; Und sie verbindet sich mit einer wissenschaftlichen Haltung, von der ich meine, die entscheidend durch Selbstdistanz geprägt sein muss. 

Wer heute nämlich Wissenschaft betreibt, der tut dies in höchst komplexen, höchst dynamischen, höchst spannungsreichen Kontexten. Und das kann allein gelingen, wenn man den Ort der je eigenen wissenschaftlichen Spezialisierung zu bestimmen vermag, wenn man der eigenen Erkenntnisleidenschaft nicht völlig ausgeliefert ist und wenn man von der Bedeutung des eigenen wissenschaftlichen Tuns überzeugt bleibt, gerade unter Beachtung seiner Grenzen.

Dies erfordert eine Haltung offener Ehrlichkeit und der wachen Irritierbarkeit durch die Welt und das, was andere über sie wissen, sowie die Fähigkeit, von sich selbst auch Abstand nehmen zu können, also die eigene Expertise nicht schon für das Ganze von Wissenschaft zu halten, die methodische Verlässlichkeit wissenschaftlichen Wissens nicht mit so etwas wie absoluter Gewissheit zu verwechseln, und zu wissen: 

Forschung muss zwar über gesellschaftliche und politische Diskurse informieren, Forschung kann aber nicht an ihre Stelle treten.

Szientokratie, wie ich sie vorhin kritisch kommentiert habe, wäre übrigens gerade der Kollaps dieser Fähigkeit zur Distanznahme. 

Daneben braucht es freilich auch Bedingungen, die solche Sorgfalt und Redlichkeit, diese Haltung der Irritationsbereitschaft und Selbstdistanzierung begünstigen. Damit sind wir bei der sozialen Organisierung der Wissenschaften. Und leicht ließen sich viele praktische und selbst politische Fragen auch auf die angesprochene Diagnose beziehen. 

An der Grundfinanzierung der Universitäten hängt ja auch die Frage, ob es hier – wie in der außeruniversitären Forschung auch – Räume gewährten Vertrauens gibt, die im Interesse bester Forschung vom steten Finanzierungswettbewerb und von ununterbrochener individueller accountability (Zuständigkeit) freigehalten sind. Eine ununterbrochene individuelle accountybility, die sich ja längst zu einer Form institutionalisierten Misstrauens entwickelt hat. 

Viele Instrumente der Beobachtung und Steuerung von Wissenschaft haben den durchaus unerwünschten Nebeneffekt, dass das Tempo von Forschungsprozessen und die Größe von Forschungseinheiten geradezu systematisch mit der Qualität von Forschung verwechselt werden.

Und womöglich hat solches auch mit einer Art von Überproduktionskrise von Wissenschaft zu tun. Jedenfalls – um es polemisch zuzuspitzen – hat doch das Publizieren als wichtigstes Ziel von Forschung eine derartige Dominanz erlangt, dass wir uns anscheinend allein noch mit der Verfeinerung jener Techniken zu behelfen wissen – vom Abstract bis zum Review-Artikel, von der Bibliometrie bis hin zum Text mining –, die die Lektüre dessen gerade ersparen, was da publiziert wurde. 

Ich führe dies nicht weiter aus, um stattdessen lediglich zu sagen, dass auch die DFG hier Verantwortung trägt. Ihre Projektförderung hilft auch dabei, Redlichkeit und skrupulöse Sorgfalt der Forschung zu begünstigen; allmählich aus den Aporien (Rat-, Ausweglosigkeit der Überproduktionskrise auch wieder herauszuführen; Qualität von Forschung (und Projektplanung), Qualität also wichtiger zu nehmen als Tempo, Größe oder den Publikationsort, der ja kein Sach-, sondern (wie in der vormodernen Wissenschaft) ein Autoritätsargument ist. Das wollten wir gerade überwinden. Das war das Projekt der modernen Wissenschaften. 

Manches wäre in diesem Zusammenhang zu nennen: Etwa die rigide Begrenzung der Zahl der Literaturangaben in DFG Projektanträgen (als eine der wichtigsten Weichenstellungen der DFG im zurückliegenden Jahrzehnt); die Zeit für inhaltliche Diskussion in den Entscheidungsgremien der DFG; die Neugestaltung des Auswahlprozesses im GWL-Verfahren ist dafür beispielgebend; die Unterstützung verschiedener Fachgemeinschaften bei der Entwicklung spezifischer Standards für die Reproduktion von Forschungsergebnissen; die Frage der Förderung von Reproduktions- und Metastudien; von unserem weiteren Engagement im Ombudssystem, bei der Dual-use-Problematik und manch anderem für diesmal abgesehen. 

Gerecht werden können die Wissenschaften dem Zusammenhang von Freiheit und Verantwortung nach meiner festen Überzeugung gerade in Zeiten des populistischen Anti-Intellektualismus und autokratischer Wissenschaftsfeindschaft nur mit sorgfältiger Selbstbegrenzung und Selbstdistanz – wenn Sie mögen: Mit Ehrlichkeit und Bescheidenheit.

Auf diese Haltung kommt es, wie in der offenen, pluralistischen Gesellschaft und in der konstitutionellen Demokratie, auf diese Haltung kommt es auch in den Wissenschaften an. Die Partikularität und also Pluralität jeder wissenschaftlichen Expertise, das Prinzip methodischer Skepsis, die Unmöglichkeit, vom Sein einfach aufs Sollen zu schließen: All dies verlangt uns eine Zurückhaltung ab, ohne welche sich bei erhöhtem Außendruck die Herausforderungen guter wissenschaftlicher Praxis und die Seriösität von Leistungsversprechungen nicht werden bestehen lassen. 

Was in diesem Zusammenhang an der DFG liegt, ist klar: Als Selbstverwaltungsorganisation und als Fördereinrichtung, die einen gewichtigen Bereich des wissenschaftlichen Wettbewerbs maßgeblich gestaltet, steht und arbeitet sie für eine Forschung, die großes gesellschaftliches und politisches Vertrauen tatsächlich verdient; und fördert sie die Unabhängigkeit der Forschenden – ohne welche diese die Verantwortung für ihre Forschung gar nicht tragen könnten. 

Deswegen ist es alles andere als ein Organisationsegoismus, wenn ich Sie bitte, auch künftig der Deutschen Forschungsgemeinschaft kritisch und engagiert zugewandt zu bleiben. 

Haben Sie herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

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