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Lindloges Hof

Zurück zur Dorfstraße und vorbei an Seiferts und Heiles passiert man auch heute noch Schröders, einen Hof, der für mich mit einem vorbildlich aufmerksamen Bewacher in Gestalt eines dunklen Schäferhundes verbunden ist. Beim respekt- und gedankenlosen Durchqueren seiner Diele knipste er mit seinen Reißzähnen so sauber durch meinen linken Biceps, dass gerade mal ein winziges Tröpfchen roten Lebenswassers hervortrat. Der anschließende Sicherheitsbesuch im Bassumer Krankenhaus inclusive Tetanus-Spritze hatte keine weiteren gesundheitlichen Folgen.

Schröders Hof von der Zufahrt zu Lindloges Hof aus.
Klick vergrößert zum Foto anlässlich einer Hochzeit (195?) bei Schröders.

In der folgenden Linkskurve stößt die Zufahrt zu Lindloges Hof auf die Dorfstraße. K! Links daneben steht seit 1989 das moderne Feuerwehrgerätehaus, an das sich seit 1999 der Dorf- und Grilplatz, ein gemütliches, überdachtes Rund mit Tischen und Bänken, als Ort zum gemeinschaftlichen Feiern anschließt. Beides ebenfalls Resultate der Flurbereinigung nach dem Bau der Umgehungsstraße B51 und im Rahmen einer Aktion Dorferneuerung. 

Ein Fußmarsch zu Lindloges, vorbei an rassigen Pferden, rechts auf der Koppel, ein Bild von den immer noch stattlichen Hof Gebäuden.

Hier reicht heute die Zeit nicht, für all dass, was nun aus der Erinnerung aufsteigt. Vielleicht verabreden wir uns beim nächsten Eschenhausenbesuch mal mit den Leuten, die heute hier leben.

Schade, schade, dass ich den Friedel und die Marga nicht noch einmal gesehen habe, die ja beide fast 85 Jahre alt geworden sind.

Lindloges Hof 1957. Friedel links unten vor dem Tor.
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Dafür behalte ich die vielen tollen Erlebnisse auf ihrem Hof in allen Ehren: 

- Pflügen mit dem „Eicher“, Lindloges Trecker, bei unserem Besuch Anfang der Sechziger Jahre,

- Beim Rüben "Verziehen" (Dabei wurden Rübenpflänzchen die nach der maschinellen Aussaht in lückenloser Reihe stehen, mittels einer Hacke so dezimiert, dass nur noch die am "stärksten" erscheinenden und in etwa den Abständen übrig bleiben, dass sie zu optimaler Größe mit maximalem Flächen-Ertrag auswachsen könnten.)
Eine Landarbeit, die wie viele in dieser Zeit von Hand gemacht, damit personalintensiv und in der Folge auch potenziell sehr kommunikativ war:

Friedel Lindloge, nachdem jemandem etwas "fliegen gegangen" war: „Hier in der Nähe müssen Menschen wohnen!“ – „Wieso?“ – „Man riecht es“,

- Bei der Kartoffelernte mit dem Schleuder-Pflug: Ob er so korrekt bezeichnet ist, weiß ich nicht. Auf jeden Fall schob der, von Pferden gezogen, eine breite Schar horizontal direkt unter die Kartoffelreihe. Gleichzeitig warf er, mit einer Art Quirl aus Metallzinken, das sich wie ein Flugzeugpropeller drehte, Kartoffeln samt Erde von der Schar zur bereits abgeernteten Seite des Kartoffelackers.

Da warteten, in bestimmten Abständen über die Länge des Feldes verteilt, Pärchen von Erntehelfern darauf, die nahrhaften Knollen in Körbe zu sammeln und die dann auf den Erntewagen zu entleeren.

- Pferdebetriebene Mähmaschinen mit einem Extrasitz für den „Ableger“, der direkt neben den Mähmessern, mittels einer Holzstange, einzelne Portionen der geschnittenen Halme herunterdrückte und so zu Garben bindbare Mengen erzeugte,

- Kornernte: Von den Grannen der Kornfrüchte zerstochene, rot glühend brennende Arme und Brustkorb, am Abend eines Tages mit Garben Binden und Aufstellen der Hocken,

- Die dröhnende Wander-Dreschmaschine auf dem Hof, die laut rauschend Garbe für Garbe frisst. Und die handbetriebene Windmaschine (ich erinnere nicht mehr den Namen) zur Trennung von Spreu und Samenkörnern,

- Die Stangenkohl-Schnibselmaschine im Rinderstall,

- Der Kornboden über dem Rinderstall, wo eine Schrotmühle stand, deren großes Holzrad über einen Transmissionsriemen durch einen Elektromotor mit kleiner Metallwelle angetrieben wurde.

Wenn dieses Ensemble in Betrieb war, erzeugten die Metallklammern, die beide Enden des dicken Lederbandes zusammenhielten, einen scharf klatschenden kurzen Schlag am Motor und einen dumpfen längeren am Holz der Schrotmühle: Tschack – Buuuum – Tschack – Buuuum...

Die Mischung mit dem energisch singend summenden Dauerton des Elektromotors auf dem hölzernen, überdimensionalen Resonanzkörper Dachboden, war für den Kallemann, der mit geschlossenen Augen im Stroh lag, die Initialzündung seiner an sonsten eigentlich kaum erklärlichen Liebe für die bassen Töne.

Ralf und Frorian Hütter (Kraftwerk): JA! Aber, Gott bewahre: TechNO!

- Moderne Entwicklungen der Bereifungstechnik im Landwagenbau anno 1950 retten Reinhard das Leben (#2, siehe 09):

Bei der Kartoffelernte zog Hans, das Pferd Lindloges, den Kartoffelwagen. Der wurde in Etappen über den abgeernteten Teil des Ackers an den Sammlern vorbei bewegt, so dass die ihre gefüllten Körbe darauf entleeren konnten.

In Ermangelung körperlicher Länge, dafür aber mit um so größerem Eifer, sprang Reinhard an die Zügel, die am Kutschbock verknotet waren und veranlasste Hans dadurch, anzuziehen. Im selben Moment muss Reinhard auch schon im Kartoffelkraut hängen geblieben und genau vor den linken Vorderreifen des Ackerwagens gefallen sein. Das hat Vatel sofort bemerkt, und sein „Stop!“-Schrei brachte den braven Hans augenblicklich zum Stehen.

Doch, welch dramatisches Bild: Reinhard, auf dem Rücken liegend, das Rad quer auf seinem Bauch, der Oberkörper unter dem Wagen und die Beine nach außen!

Mit vereinten Kräften wurde der Wagen sofort vorsichtig bewegt, so dass Reinhard frei kam. Was dann konkret mit ihm geschehen ist, kann ich nicht mehr erinnern – Vatel trug ihn wohl ins Haus von Lindloges?..?

Auf jeden Fall ging auch diese Geschichte auf die Kappe einer der vielen Schutzengel, die Reinhard unter Vertrag gehabt haben muss. Neben dem vermutlich gewaltigen Schrecken, der sicher in ihn gefahren war, ist das einzig noch Erwähnenswerte der Teil seines Inneren, der der rohen Gewalt weichend, den umgekehrten Weg in seine Lederhose gewählt hatte.

Körperlich hat er diesen Fall unversehrt überstanden, Dank der Erfindung der Luftbereifung für Landfahrzeuge und des butterweichen Ackerbodens in Eschenhausen. Geistig...?

- Von den Erntehelfern stets schon von Weitem freudig entdeckt, Marga, mit einem Handwagen unterwegs vom Hof zum Feld, wo sich alle Hilfen am Wegrand zum zweiten Frühstück versammelten und zum Kaffee(?), Muckefuck(?) auf Säcken, Körben und sonstigem niederliessen – Pause für den Rücken und eine zauberhafte Szene für die Seelen aller, oder

- Ihr lauter Ruf vom Hof aus: „Mittagessen!“, den sie nie zweimal loswerden musste, auch wenn wir hunderte von Metern entfernt auf dem Feld waren.

- Oma Lindloge – in der Küche des Hofes, mit dem Eingang zur großen Diele, gegenüber vom Rinderstall, nie ohne die gelb klebrig ausgerollten Fliegenfänger – singt mit ihrer dünnen, hellen aber klaren Greisenstimme:

„Fliege / wenn ich Dich kriege / dann reiß ich Dir ein Beinchen aus / dann kommst Du in das Krankenhaus / Da wirst Du dann einbalsamiert / und mit Salbe zugeschmiert...“ Unvergesslich.

- Die Kartoffel-Lohntüte für die Erntehelfer Reinhard und Kallemann am Ende eines Erntehelfertages: Je eine Kartoffel mit einem hineingedrückten Geldstück. Über dessen moralischen, sybolischen, pekuniären... Wert streiten sich die beiden heute noch.

- Ein Ritt auf einem galoppierenden Schwein nach dem Aufsitzen in seiner Suhle.

- Ein sattelloser Ritt auf Hans, bei unserer Radtour nach Eschenhausen Anfang der Sechziger, der diese Bezeichnung etwas weniger schweinisch verdiente und wohl die Liebe Reinhards für Pferde begründete?!.

Der Feuerlöschteich... ... ...

Lindloges Hof 200?. Foto: Helma Seifert.
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Danke, Friedel und Marga für die schönen Erinnerungen!


Bilder:

Lindloge


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