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11.8
Wie die Schwimmkunst zu Reinhard und Kallemann kam

Die Bremer Straße in Bassum war vor dem Bau der Umgehungsstraße die lärmende Durchfahrt für den gesamten otto-motorisierten Fernverkehr zwischen Bremen, Hamburg, Münster, Osnabrück und dem Ruhrgebiet.

Heute kommen wir auf ihr in aller Ruhe vom Kulturzentrum Freudenburg zum ganz in der Nähe gelegenen Parkplatz der ehemaligen Städtischen Badeanstalt.

K!

Die Städtische Badeanstalt Bassum 195?
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Die nennt sich nun Natur- und Freizeitbad und ihr Sprungturm ist dem entsprechend(?) in so was wie’n Kunstfelsen gekleidet. Der alte weiß lackierte Holzturm war wohl im Kern aus zu viel Natur und ist inzwischen längst verfault, hier hinter der Brücke über den Klosterbach, der wie vor einem halben Jahrhundert auch heute noch das überflüssige Wasser der Orte unserer Kindheit, vorbei an unserem Garten in Schmidts Wäldchen, mit seinen Stichlingen, unseren Wasserrädern und durch Reinhards Winter Badeanstalt im Lindschlag, hierher transportiert.

Natur- und Freizeitbad Bassum
12. September 2009.
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Heute, am 12. September ist schon kein Wetter mehr für Natur- und Freizeit Badefreunde. Es ist geschlossen. Also bleibt nur ein Blick durch den Zaun auf den Ort, an dem Reinhard und Kallemann die Kunst des Schwimmens erlernten.

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Wohl als ich zehn Jahre alt und Reinhard acht war, 1955, müssen die Eltern beschlossen haben, dass wir schwimmen lernen sollten. Da ich nicht erinnern kann, wie Reinhard dies erfahren hat, schildere ich nur meine Erlebnisse.

Das war in einer Zeit, in der es kein Mensch für möglich gehalten hätte, dass es einmal Gemeinwesen geben sollte, die so viel Geld übrig hätten, und dafür keinen besseren Verwendungszweck fänden, als das Wasser eines ganzen Freibades, so etwa 1500 Kubikmeter, eineinhalb Millionen Liter, immer wieder mit mindestens 15 Millionen Kilokalorien um mehr als zehn Grad Celsius wärmer zu machen, als es Mutter Natur zur Verfügung stellt.

Das unbeheizte Freibad war schon exotischer Luxus genug, in Nord-Deutschland, wo die Sommer auch heute noch selten so warm sind, wie in dem des Jahres 2009, und wo der 1955 ganz besonders verregnet und kalt werden sollte. 

So fand das Schwimmen-Lernen bei Schwimm-Meister Günteroth im Freibad Bassum fast nur „an Land“ statt, und wir machten Trocken-Übungen nach der Methode eines von Pfuel, ein Offizier und späterer Preußischer Kriegsminister, der von 1772 bis 1866 lebte. Wir saßen dabei hintereinander auf der Umrandung der Schwimmbecken und machten Bewegungen mit Armen und Beinen getrennt und dann auch gleichzeitig und zählten dabei immer: "Eins-zwei-drei...".

Als Kind war ich ein magerer Hering und habe in Muttels Strick-Badehose ganz erbärmlich gefroren. Nur das Schwimmen habe ich in diesem Sommer nicht gelernt.

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Im Sommer 1956 wurden wir erneut zum Schwimmlehrgang angemeldet. Dieses Mal war der Sommer noch ein bisschen weniger warm, dafür hatte Herr Günteroth eine "neue" Lehrmethode, die von einem noch älteren Herrn GutsMuths aus dem achtzehnten Jahrhundert stammte:

Wir mussten, mit einem Gürtel um den Bauch, einem Tau daran und einer Stange, die Herr Günteroth hielt, im dunkelschwarzen Wasser des Sprungbeckens hin und her schaukeln und dabei mit „eins-zwei-drei...“ die Arme und dazu gleichzeitig die Beine wie ein Frosch bewegen.

Dass mich dabei nicht die vielen Ungeheuer in den dunklen Tiefen des chemisch noch unbehandelten, ungefilterten, algengesättigten Teichwassers zu sich hinuntergezogen und verschlungen haben, war das reinste Wunder. Wusste ich doch, nach eifrigster außerschulischer Weiterbildung, aus der Lektüre von "Groschen-" oder "Schund-Heftchen" wie „Beowulf“ nur zu genau, wie es in den dunklen Tiefen des Meeres, der Teiche und selbstverständlich auch im Sprungbecken der Städtischen Badeanstalt Bassum zuging.

Dort war das Reich der Mutter des Trolls Grendel, einem Wasserdämon, die hier ihr grausiges Unwesen trieb, besonders gern mit den kleinen Zündschnüren noch kleinerer Jungs. So war ich jedes Mal doch heilfroh, wieder die „eins-zwei-drei...“-Übungen an Land machen und frieren zu dürfen.

Und so ging auch der zweite Schwimm-„Lern“-„Sommer“ vorüber, ohne dass Kallemann der Kunst des Schwimmens auch nur ein gespürtes Wassermolekül näher gekommen wäre.

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Solch geringfügige Verzögerungen konnten das Vertrauen der Eltern Damerow in die Autorität des Schwimmmeisters Günteroth nicht erschüttern. Auch 1957 waren ihre beiden Sprösslinge wieder seine Schüler. Und diesmal war der Sommer – auch verregnet.

Herr Günteroth setzte nun auf eine ganz neue Methode, die erst vor gut zwanzig Jahren ein Österreicher, Kurz Wiessner, erfunden hatte. Die nannte sich Wassergewöhnung und eine seiner Übungen war das „Hechtschießen“. Gemeint war nicht das Erschießen eines Hechtes, sondern sein Vorschnellen beim Beutefang.

Man stellt sich dazu in brusttiefem Wasser des Nichtschwimmerbeckens mit dem Rücken zum Beckenrand, streckt beide Arme fest hinter dem Kopf, holt tief Luft, legt den Oberkörper nach vorn ins Wasser, achtet peinlich darauf, dass der Kopf unbedingt und für die ganze Übung vor, nun unter den gestreckten Armen bleibt und drückt sich mit einem Fuß kräftig von der Wand ab, und – fällt natürlich ebenso kräftig auf den Beckenboden, „weiß“ das erfahrene Land-Ei und nimmt sofort das andere Bein nach vorn, um das zu verhindern.

Was es damit allerdings in Wirklichkeit nur verhindert, ist das Erreichen des Übungsziels, nämlich an der Wasseroberfläche in gestreckter Körperhaltung zu GLEITEN, weil das Abfang-Angst-Bein viel zu kräftig bremst und dabei den Köper auch noch aufrichtet. So nah dran und doch vorbei!... 

Erst Herr Günteroths letzte „Zauber-Übung“, die „Qualle“, sollte aus uns am Ende dreier frierender norddeutscher Freibad-Sommer tatsächlich doch noch Schwimmer machen.

Die Qualle geht wie das Hechtschießen, nur ohne Abstoßen von der Beckenwand. Nach dem tiefen Einatmen muss man nur einen kräftigen Buckel zum Himmel machen und Arme, Kopf und Beine in Richtung Beckenboden hängen lassen, wie die Arme einer Qualle und „einfach“ eine Weile WARTEN.

Genau das aber ist DAS Problem für jeden Schwimm-Adepten bei DER pausenlosen Panik hinter geschlossenen Augen. 

Aber, gelang das Warten in der Quallenposition einmal nur für etwas mehr als fünf Sekunden, dann – merkte ich, es ging ja garnicht pausenlos weiter nach unten, ich kam wieder hoch! Wie ein Korken, „ganz von alleine“ blieb ich oben, und irgendeine geheimnisvolle Kraft wippte meinen Körper ganz ruhig auf und ab.  

Jetzt hatte ich schlagartig Vertrauen ins Wasser und das Archimedische Prinzip (was auch immer das war), und jetzt machte ich das Hechtschießen noch einmal, ohne Brems-Bein, ich „wusste“ ja jetzt, dass ich nicht wie an Land aufs Gesicht fallen würde, und:

ICH KONNTE SCHWIMMEN! HEUREKA!!! Der Rest war Übungssache.

Ich kann ja nur meine Gefühle schildern, aber so ähnlich muss es wohl auch meinem Bruder ergangen sein. Den Freischwimmer-Ausweis mit der Unterschrift von Herrn Günteroth bewahre ich noch heute als meinen Schatz...

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Zehn Jahre später, nachdem ich an der Deutschen Sporthochschule in Köln meine Abschluss-Prüfung als Diplom-Sportlehrer  bestanden hatte, war ich bereits als Student einige Jahre Schwimm-Trainer in Kölner Schwimm-Vereinen gewesen und bin es danach über die Hälfte meines Lebens geblieben.

Einer der stolzesten Erfolge war die Bronze-Medaille von Petra Zindler über 400 Meter Lagen bei den Olympischen Sommer-Spielen in Los Angeles 1984. Noch heute geht mir manchmal durch den Sinn: Hätte Petra vielleicht die Silber-Medaille gewonnen, wenn ihr Trainer schon nach zwei Jahren das Schwimmen gelernt hätte? Wäre sie etwa gar Olympia-Siegerin geworden, wenn...???

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Helma, wer sonst, darf mich aus Olympischen Träumen holen. Wir fahren an der Katholischen Kirche vorbei, sie hat sich seit meiner Kommunion kein bisschen verändert. Vorbei auch am Sportzentrum an der Syker Straße geht’s über den Karrenbruch und über die Bahnlinie zurück nach Eschenhausen.

So schnell war die Dorf- und Stadtführung mit Helma vorbei, die Verabredung mit Herbert Schmidt wartet schon.

„Was macht Ihr denn heute Abend? Wir wär’s, wenn wir zum Essen in die „Sport Arena“ am Sportzentrum in Bassum führen,“ schlägt Helma vor, „vielleicht kommt Herbert ja auch mit.

Also, bis dann!“ Abgemacht.


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