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11.3
Hase und Jäger
 

Nicht selten wurde in den Schulpausen auch "Hase und Jäger" gespielt, eine ländliche Variante des Versteckspiels, bei dem nicht nur einer sucht und alle anderen sich verstecken.

Wenn ich die Regeln richtig erinnere, begann es damit, dass ein besonders privilegierter Schüler Orakel sein durfte, indem er sich bückte, den Kopf von vorn zwischen die Oberschenkel des Orakelbefragers steckte. Der klopfte dann mit einer Hand dreimal auf den Rücken des Orakels und rief: „Tipp, tipp, tipp, wer soll das sein?“, während er mit dem anderen Arm mehr oder weniger ein-eindeutig auf einen vor ihm stehenden mitspielbereiten Schüler zeigte. Von unterhalb des Befrager-Hosenbodens ertönte dann entweder ein: „Hase“ oder: „Jäger.

Sobald allen Mitspielern eine der beiden Rollen in etwa gleicher Zahl zugewiesen war und das Orakel sich selbst eine ausgesucht hatte – eigentlich ungerecht, oder? –, schlossen alle Jäger für eine vereinbarte Zeit die Augen (absolute!!! Ehrensache) und die Hasen stoben nach allen Himmelsrichtungen auseinander und suchten sich eine möglichst entdeckungssichere Sasse.

Nach Ablauf der vereinbarten Schonzeit schwärmten dann die Jäger aus und suchten und "erlegten" traditionell gnadenlos alle Hasen durch Körperkontakt, wie beim Fangen-Spiel.

Einmal jedoch verlief das Spiel für mich als Hasen ganz anders, nur begrenzt regelkonform und absolut untraditionell.

Links geht der Schoolpad nach Schorlingborstel.
Da, rechts unten, hinter den Erlen, fand Hase Kallemann seine perfekte Sasse...
Klick vergrößert.

Ich war hinter der Schule durch die Felder bis zur Schorlingborsteler Beeke gerannt, die sich, noch fast wie sie wollte, durch den „Tal“grund schlängeln durfte und an einer Stelle einen kleinen Prallhang, so eine Art Kurve in Richtung Schule gebildet hatte. Da sie nur wenig Wasser führte, erlaubte sie mir, mich am Außenbogen unter überhängenden Erlenwurzeln, an ihrem „Ufer“ der Länge lang in meine Sasse zu drücken. K!

In der Stille des Sommervormittags, - das ferne Geschrei spielender Kinder klang gedämpft durch die gelben Halme des Roggenackers von der Schule herüber - mit der Wasseroberfläche flackernde Reflexe der Sonne im Gesicht, muss ich eingeschlafen sein... 

Als ich aufwachte, stellte ich erst mal sehr zufrieden fest, dass ich immer noch ein lebendiger Hase war. Aus dem hohen Stand der Sonne zu schließen, musste die Pause aber längst vorbei sein, zu deren Beendigung Lehrer König seinen Astralleib stets majestätisch vor seine Wohnungstür bewegte und laut rief: „Reinkommen!“, was sich in der Regel zuverlässigst zu allen Kletterern, Hasen, Jägern, Marmel-, Fangen- und sonstigen Spielern herumsprach.

In ängstlicher Erwartung eines Donnerwetters hastete ich zwischen den Kornfeldern zur Schule, um die Ecke, die Treppe hoch: Kein Mensch mehr da. Die Schule war längst aus. 

Das muss in meinen beiden ersten Schuljahren gewesen sein, denn sonst hätte mein Bruder mein Fehlen bemerkt und eine Suchaktion wäre in Gang gekommen. So aber holte ich meinen Tornister und machte mich pfeifend auf den Nachhauseweg. 

Jeder Zeigefinger-Pädagoge wird längst die selbstgerechten Hände über dem Kopf zusammengeschlagen haben – Wie konnte er nur, dieser Lehrer König! Es hätte ja wer weiß was mit seinem Schüler „Hase“ Kallemann passiert sein können...

– Ja, hätte...

– Ist auch!

Für mich ist dieses Erlebnis zu meinem persönlichen – zugegeben: Emotionalen – Argument für eine Schule geworden, die nicht nur maximal wissen- und kompetenzgespickte, effiziente Sklaven einer sich selbst für omnipotent haltenden Welt der Händler „produzieren“ will, sondern eine, die ihren Schülern auch beglückende Argumente dafür ermöglicht und bewusst zulässt, aus vollem Herzen sagen zu dürfen: „Das Leben ist schön! Auch in einer Schule“. 

Klar, Herr König hat in juristischem Sinne und in diesem Fall viel Glück gehabt. Ich habe nun selber auch ein volles Berufs-Leben als Lehrer und Schwimmtrainer hinter mir und weiß daher, dass jeder, auch der 150prozentig Paragraphentreueste in diesem Beruf eben dieses Glück braucht, um seiner Berufung gerecht zu werden. 

Karlheinz Damerow sagt daher in Erinnerung an seinen Hasen-Sommer zu seinem ersten Lehrer:

„Sie haben viel riskiert, ich hab alles gewonnen.

Danke, Karl Christel Friedrich König!“


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