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09
Reinhards Winter-Badeanstalt

Nach guter Nacht und und gutem Frühstück (in Ermangelung des vergessenen Zuckers mit Marmelade gesüßtem Tee - gar nicht so übel), hatten wir vor dem Termin mit Helma um 13 Uhr noch Zeit, zum Lindschlag zu fahren, um die berühmt berüchtigte Winter-Badeanstalt von Reinhard zu besichtigen. 

An der L332 von Neubruchhausen nach Eschenhausen war uns schon auf der Hinfahrt ein Selbstbedienungs-Blumenfeld aufgefallen. Nun nutzen wir das saisonal bedingt zwar nur noch recht magere Angebot an Gladiolen, Dahlien und Astern und ernten einen dafür um so dickeren Strauß für Helma und einen Zierkürbis für Herbert – den wir später vergessen, ihm zu geben. Das wäre bei seinen gärtnerischen Qualitäten doch wohl eine zu mickrige Eule für Athen gewesen?! 

Es geht, wieder auf der Ortsdurchfahrt Eschenhausen, an Wendts Hof vorbei, über die Kreuzung mit dem Schwarzen Weg (dem ehemaligen Ascheweg). Im südöstlichem Quadranten dieser Kreuzung befand sich der heute (Schweinerei!) zugeschüttete Bombentrichter. Kurz danach, nicht nach rechts in Richtung Schule sondern halblinks, zum Hof der Familie Hadeler, direkt am Rande des Lindschlag. 

Von hier führt ein heute offenbar nur noch selten benutzter Weg nach einigen Metern am Waldrand Richtung Osten in den Wald hinein. Kurz danach geht es in einer leichten Rechtskurve über einen Bach, der nach dem Herausfallen aus dem südlichen Ende eines dicken Rohres unter der Brücke einen Kolk, eine ovale Vertiefung des Bachbetts erzeugt hat. K!

Reinhards Winter-Badeanstalt im Spätsommer 2009

Hier sind wir keine vierhundert Meter von unserer zweiten Unterkunft bei den Roshops (Hillebolds?) entfernt. Und genau hier befanden wir uns, Reinhard und Kallemann, vor fast über sechzig Jahren, an einem 11. Dezember.

Wohl dem Schock gedankt, kann ich absolut nichts erinnern, was sich vor dem Moment abgespielt hat,...

Version Kallemann: ...als ich Reihard, mit dem Gesicht nach unten, in diesem Kolk „schwimmen“ sah, nicht aktiv, wie ein Brustschwimmer, sondern passiv, wie ein Stück Holz. Die Pudelmütze mit Bommel rührte sich nicht, ebenso wenig wie der gelähmte Bruder Kallemann am Ufer. (Wohl das eingebrannte Standfoto kurz nachdem Reinhard in den Kolk gerutscht war?) 

Version Reinhard: ...Ich stand mit Mantel und pudelbemützt bis zum Bauch im Wasser, während mein Bruder wie Rumpelstilzchen am Ufer hin und her sprang, unfähig, mich herauszuziehen. (Die wahrscheinlicher zutreffende Variante; Immerhin von dem, der die Hauptrolle gab). 

Genau in diesem Augenblick kam ein Bauer mit einem Fuhrwerk vorbei. Es war wohl der Herr Hadeler. Zu meiner grenzenlosen Verblüffung stand er auch schon breitbeinig über dem Kolk und zog Reinhard einfach so heraus. Mit den schönen Worten: „Nu ober noh Huus!“, oder so ähnlich, schwang er sich auf sein landwirtschaftliches Fahrzeug und fuhr weiter Richtung Albringhausen... 

Viele Augenblicke später, nachdem er seine Fuhre auf dem Acker abgeladen oder Laub von dort geholt hatte, kam er wieder an der Lindschlagbrücke vorbei und war offensichtlich so voll der Bewunderung über meine Eröffnung: „Wir warten hier hinter dem Baum, bis Reinhard wieder trocken ist!“, dass er nicht besonders leise, dafür um so christlicher mit „Duud un Düüvel“ drohte. Das überzeugte mich schlagartig - Reinhard war wohl, verständlicher Weise, in seinem überdurchschnittlich extern hydrierten Blues-Zustand, geistig nicht mehr zu allzu viel zu gebrauchen.

So liefen wir denn schnurstracks nachhause, obwohl da nach wie vor die wahre Ursache für meinen hirnrissigen Hinter-dem-Baum-Trockner mit eingebauter billigender Inkaufnahme einer Lungenentzündung meines Bruders wartete: Die vermeintlich unabwendbare große Abreibung.

Doch, zu meinem bassesten Erstaunen und entgegen allen Erfahrungen mit der preußisch spartanischen Pädagogik, vor allem unseres Vatels: Kein Donnerwetter weit und breit! Ganz im Gegenteil, vollste Fürsorge der Muttel, ein heißes Bad für Reinhard und ab ins Bett.

Jetzt fällt mir's ein, vielleicht lag es ja auch daran, dass die Muttel genau an diesem Tag Geburtstag hat?! Ohne Quatsch: Diese haarsträubende Begebenheit sagt einiges über das Verhältnis von Kindern und Eltern und Eltern und Kindern bei den Damerows. „Reinhards Winter-Badeanstalt“ steht so für mich nicht nur für eine skurrile Begebenheit unserer Kindheit sondern auch sinnbildlich für das Binnenklima einer post-patriarchalischen Familie unter eingeschüchtert mutigem Heiligenbildchen-Matriarchat.

Die Kältebehandlung scheint Reinhards weiteren Lebenslauf nicht wesentlich - weder negativ, noch unangemessen positiv - beeinflusst zu haben...


Bilder:

Reinhards Winter-Badeanstalt


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