Welche Gerechtigkeit schulde ich einem Tier?

von Elke


Pferde und Esel haben dem Menschen im Laufe der Jahrtausende unschätzbare Dienste erwiesen, schwere Arbeiten verrichtet und ihm teilweise sogar als Nahrung gedient. Allein aus diesen Gründen schulden wir ihnen Respekt und unsere ganz besondere Achtung.

Dazu kommt, dass sie, wie der Mensch, zur Gattung der Säugetiere zählen und damit über Empfindungsfähigkeit und ein Gefühlsleben verfügen. Eine Betrachtungsweise des Verhältnisses von Mensch und Pferd unter dem reinen Aspekt von Nützlichkeit und Wirtschaftlichkeit greift daher viel zu kurz und sollte als eines Menschen unwürdig angesehen werden.

Bereits in der Antike wird der Gedanke von Tierschutz unter Pythagoras und Plutarch vertreten und selbst im sogenannten finsteren Mittelalter kommt René Descartes (1596-1650) zu dem Schluss, dass für die gesamte Natur vergleichbare Gesetzmäßigkeiten gelten und der Mensch, als Teil eben dieser Natur, sich einzig und alleine durch Sprache und Vernunft vom Tier unterscheidet.

Jean Jacques Rousseau (1712-1778) vertritt die Auffassung, dass Tiere, da Ihnen Denkvermögen(?) und Freiheit(?) fehlen, sie aber über Empfindungsfähigkeit verfügen, etwas mit der Natur des Menschen gemeinsam haben, daher der Mensch dem Tier gegenüber gewissen Pflichten unterworfen ist.

Immanuel Kant (1724-1804) bettet den Schutz vor grausamer Behandlung in sein Pflichtkonzept ein und befindet, "dass Grausamkeit gegen Tiere das Mitleid des Menschen abstumpft und dadurch eine seiner Moralität dienlichen Anlage austilgt".

Bei Arthur Schopenhauer (1788-1860) findet sich der Gedanke:

"Die Welt ist kein Machwerk, und die Tiere sind kein Fabrikat zu unserem Gebrauch. Nicht Erbarmen, sondern Gerechtigkeit ist man den Tieren schuldig".

Welche Gerechtigkeit schuldet der Mensch nun zum Beispiel einem Pferd, das, an menschlichen Maßstäben gemessen, im Kindesalter zur Gaudi und Befriedigung krankhafter Wett-Leidenschaft (Sucht) von Menschen derart in Todesangst versetzt wird, dass es immer wieder die fast vierfache „natürliche“ Fluchtdistanz in Maximalgeschwindigkeit zurücklegen muss?

Solch eine Prozedur nennt man übrigens die "Ausbildung" eines Pferdes zum Galoppsport. Und sie wird ihm in einem Alter verordnet, in dem es bei weitem noch nicht ausgewachsen ist. Eine derartige "sportliche Nutzung" von Pferden verstößt gegen kein geltendes Gesetz, ist also legal. Ob sie den Tieren im Sinne Schopenhauers gerecht wird, darf ernsthaft bezweifelt werden.

Wenn nun ein Pferd sportlich nicht mehr nützlich ist, nachdem es eine solche "Ausbildung" und den folgenden Wettkampf-Stress hinter sich gebracht hat, schulde ich ihm dann, quasi auf der Zielgeraden seines Lebens, auf der es immer noch freudig, freundlich und hoffnungsvoll(!) auf Menschen zu geht, nicht wenigstens liebevolle Zuwendung und Lebenszeit?

Nur mit einer solchen Motivation kann ein Mensch, meiner Meinung nach, Besitzer eines solchen Tieres sein/werden. Stehen für ihn ausschließlich reiner Nutzen und Wirtschaftlichkeit über dem Lebensrecht des Tieres, dann kann er ihm nicht gerecht werden.

Moralität beweist sich übrigens auch darin, zu getroffenen Entscheidungen zu stehen und das Lebensrecht eines nicht leidenden(!) Tieres anzuerkennen, wenn ich es denn einmal als "ausgemustertes" Tier zu mir genommen habe.

Die Entscheidung, es ins Schlachthaus zu schicken, kann dann nicht mit Tierschutz-Argumenten, noch viel weniger damit, ihm Leiden zu ersparen, begründet werden. Eher wahrscheinlich mit einem Mangel an Zeit, sich um geeignete Umstände (Finanzierung), eine passende Unterkunft und Verpflegung zu bemühen.

Übrigens, im Licht einer solchen Erfahrung ist mir klar geworden, was mich an folgender Aussage schon immer gestört hat: „Wir holen die Tiere in unser Leben. Wir müssen sie dann auch wieder wegschicken“ - er klammert zu offensichtlich die Zeit zwischen Herholen und Wegschicken aus. Die Zeit aber, in der wir mit den Tieren, in Verantwortung für sie leben, ist es, die das Ethos von Mensch und Tier am intensivsten bestimmt. Der Satz sollte daher besser lauten:

„In der Zeit, in der wir Tiere zu uns „holen“, übernehmen wir die Verantwortung, dafür Sorge zu tragen, dass sie den Bedürfnissen ihrer Art entsprechend leben können.

Neben Nahrung und Unterkunft für die Tiere gehören dazu regelmäßige persönliche Ansprache und Zuwendung. Am Ende aber auch, sie in einen „natürlichen“ Tod gehen zu lassen, so lange dies ohne unzumutbare Leiden möglich ist.

Sollte eine Fortsetzung des Lebens nur noch unter Qualen möglich sein, dann ist die Verpflichtung, Leiden zu beenden, ebenso Teil dieser Verantwortung des Menschen für sein Tier."

Das Herbeiführen des Todes zur Beendigung eines Lebens mit nicht mehr abwendbaren Qualen (Euthanasie) ist in meinen Augen kein Wegschicken, kein Akt des Erbarmens, sondern der Gerechtigkeit, die wir den Tieren im Sinne Schopenhauers schuldig sind.

Nicht "Wegschicken", "Gehen lassen" ist das stimmigere Bild. Die trauernde Verarbeitung des ewigen Skandals des Todes bleibt keinem, der weiterlebt, erspart. Ganz gleich wie er seine Rolle dabei versteht.

Und, noch ein Gedanke in diesem Zusammenhang. Immer wieder begegneten mir ultimative Aussagen selbsternannter, aber auch „wirklicher“ Experten, die schon im Vorhinein wissen wollen, dass etwas nichts wird, dass etwas unmöglich geht, dass etwas nur so geht ... und dann ... kommt es doch ganz anders.

Siehe zum Beispiel zum Thema „Kissing Spines“ und „Hirschhals“ einen Beitrag von Stefanie Gersch.

Was wäre, wenn ... ein Jahr geduldiger Arbeit mit einem, „vom (Muskel-) Fleische gefallenen“ Pferd auch nur eine kleine Annäherung an das kraftstrotzende Bild dieses Tieres in jungen Jahren zurück "zaubern" würde und damit auch seine dem entsprechende Selbstwahrnehmung?

Die Nützlichkeit dieses Tieres zur Befriedigung menschlicher Interessen ist geschenkt. Auch wenn es einfach "nur" da ist, ein weiteres, auf jeden Fall glückliches Jahr leben darf - Darum geht es! So sieht, meiner Meinung nach, die Gerechtigkeit aus, die der Mensch diesem Tier, wenigstens am Ende seines Lebens, schuldig ist.

Elke

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