im Oktober 2013

Peters Erste Hochzeits Kutschen Fahrt

Kutschenfahrten, eine "smarte" Geschäftsidee 2.0?


Man nehme: Den stolzen Besitzer zweier blitzfeiner Haflinger und Kutschpferde, eine ebensolche Hochzeits Kutsche, die einmal genau für diese robusten Klein- und Gebirgspferde maßgeschneidert gebaut wurde und seit Jahrzehnten in einer Scheune auf ein zweites Leben wartet und ein Menschen Paar, das den prosaischen Termin vor einem Standesbeamten mit einem romantischen Anker vor dem schnellen Vergessen retten möchte: "Wir fahren in einer Kutsche vom Standesamt zu den Feierlichkeiten unserer Hochzeit!"

Kutscher und Groom, Pferde und Kutsche als Angebot, sowie die Nachfrage nach einer Hochzeits-Kutschenfahrt kommen zueinander wie durch die Fügung einer höheren Macht. Und schon haben wir alles, was in der turbokapitalistischen Blütezeit der Menschheitsgeschichte 2.0 zu einer "smarten" Geschäftsidee werden könnte. Dass sie grundsätzlich funktioniert, bewies das "Haus U., P. & P. Preis" in Niederscheld im Oktober 2013.

Ob sie auch wirtschaftlich tragfähig ist, kann nur eine sorgfältige Kosten-Nutzen-Analyse zeigen. Neben dem Besitz und Unterhalt von mindestens zwei sicheren Fahrpferden, einer präsentablen Feier Kutsche, sachkundig vertrauenswürdigem Kutscher und Groom in feierlicher Garderobe, einer guten(!) Versicherung, als Hard- und Software-Voraussetzungen, gehört dazu auch das Protokoll der Arbeiten zur Vorbereitung und Durchführung einer feierlichen Hochzeits- / Kutschen-Fahrt:


Tätigkeiten bei der Vorbereitung und
Durchführung einer festlichen Kutschen-Fahrt
Arbeits-Stunden

1 Kutsche reinigen*), polieren, schmücken 4,0
2 Pferde waschen, Hufe einfetten
(3 Personen à 3 Stunden)
9,0
Geschirr waschen, einfetten und polieren
(2 Personen à 3 Stunden)
6,0
Fahrt Niederscheld - Herborn/Rathaus 1,0
Wartezeit vor dem Standesamt 0,5
Fahrt Herborn - Seelbach 1,0
Foto Termin: Kutsche/Brautpaar u. a. 1,0
Fahrt zum Lokal und zurück zum Stall 1,5

Summe
24,0

Drei 8stündige Arbeitstage machen also allein den Lohnkostenanteil aus. Selbst wenn es bei der Kutschenreinigung zu einer nächsten Fahrt nicht mehr um die Patina von Jahrzehnten gehen wird, eine Stunde muss für diesen Posten sicher immer noch angesetzt werden. Es bleibt also in jedem Fall bei mehr als zwei einhalb acht-stündigen Arbeitstagen.

Wer das schöne Bild eines strahlenden Brautpaares vor den Augen eines verzauberten Publikums sieht, der kann ganz leicht ausblenden, dass zu einer Kutschfahrt noch etwas mehr gehört: Ein ganz spezielles Risiko-Potenzial nämlich, das zwar mit jeder Bewegung im öffentlichen Verkehrts-Raum verbunden ist, um so mehr aber, als derart starke und schnelle Tiere wie Pferde entscheidend beteiligt sind.

So bewahrheitete sich auch bei dieser Fahrt der nur scheinbar trivial klingende Spruch, dass alles, was möglich ist, passiert - irgendwann - ganz gleich wem.

Noch so routinierte Kutschpferde, die gelernt haben, knatternde und aufheulende Ottomotoren zu ignorieren, sägend jaulende Ablaufgeräusche von Lkw- und anderen Reifen, polternde Eisenbahnräder in nervenzerrend Schall verstärkenden Unterführungen ungerührt über sicher ergehen zu lassen, ratternde und zischende Luftdruckbremsen zu überhören, die Bugwelle entgegenkommender Fahrzeuge mit eingezogenem Kopf wegzustecken, ..., sind nach Jahrmillionen ihrer Artgeschichte immer noch mächtige Friedtiere, deren ererbtes Verhaltens Programm als generelle Strategie gegen Fressfeinde auf jedes einzelne dieser Ereignisse vorsieht, so schnell wie möglich mindestens 400 Meter wegzurennen.

Kommen mehrere solcher Ereignisse zur selben Zeit, am selben Ort zusammen - die Bahn- und Straßen-Unterführung in Niederscheld ist ein solcher - dann hat auch ein geübter Kutscher beide Hände voll zu tun, mit mindestens zwei Spinat genährten Bicepsen, seine Pferde zu so viel Beweis ihres Vertrauens zu ermuntern, wie nötig ist, um die Fahrt ohne unkontrollierbare panische Flucht, "nur" in unfallfreiem Galopp fortsetzen zu können.

Ein wesentlicher Bestandteil der Sicherheit beim Umgang von Mensch und Pferd, nicht nur beim Kutschefahren, ist Vertrauen, das durch viele Momente gemeinsamen Erlebens erprobt und begründet ist. Je fester Pferd seinem Menschen vertraut, um so kleiner ist das Panik auslösende, allerdings nie auf Null stellbare (Rest-) Risiko extremer akustischer und visueller Umweltreize.

Ein plastisches Beispiel war auf dem Weg nach Seelbach der Moment, als die Lederverankerung eines Ortscheits - wohl im Wettstreit zwischen ihrer Altersschwäche und der Kraft junger Pferde - den Kürzeren zog und riss. Ein Kutschpferd, ohne die Führung durch die Gasse der Zugstränge, mit einem lose zwischen seinen Beinen liegenden Stück Holz, quer zur Fahrtrichtung und seinem Zugpartner stehend, hätte mit Leichtigkeit ein unbremsbares Flucht-Desaster auslösen können, und der Zauber einer romantischen Fahrt wäre auf dem Grat einer Rasierklinge zur Kathastrophe geworden.

Zum Glück und zum Beweis des Vertrauens zu ihrem Menschen blieben Warino und Nando ruhig stehen. Es fand sich eine notdürftige, stabile Befestigung des Ortscheits am Wagen, die Hochzeitsfahrt konnte fortgesetzt werden und blieb damit auf der romantischen, wenn auch abenteuerlichen Seite der Geschichte dieses Tages.

Wie man sieht, gehört neben allen materiellen Voraussetzungen auch durch Tüchtigkeit getragenes Glück zum Geschäftsmodell "Kutschefahren". Ein mindestens kalkuliertes Risiko muss auch der kompetenteste Hochzeits Kutscher in die Kosten-Nutzen-Analyse aufnehmen. Nicht anders übrigens als bei der zeitgemäßen Variante, einer Autofahrt, mit immer noch mehr als 3000 Toten jährlich in diesem Land.

Kein Vernunft begabter Mensch wird nach allem der Meinung sein, ein paar Hunderter für ein kleines Ausrufungszeichen hinter einem lebenslustigen oder -müden Event in seiner Lebensgeschichte sei ein fairer Preis. Wer auf der anderen Seite meint, als möchte gerne werdender kommerzieller Anbieter von Kutschfahrten mit eben diesen paar Hunderten pro Tour über die Runden zu kommen, der ist entsprechend schon pleite, bevor er sein Gewerbe angemeldet hat.

Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass ein derart zauberhaftes, anachronistisches Erlebnis, wie das Fahren in einer Kutsche, als Dienstleistung nur für Zeitgenossen angemessen und annähernd kostendeckend bezahlbar ist, die über mehr Geld verfügen, als sie brauchen. "Smarte" Ackermänner und deren Adepten zum Beispiel. Für den, der dieses Event anbieten möchte, wird es in der Regel, also ohne "Ackermänner" unter seinen Kunden, nur dann Gewinn bringend sein können, wenn er das unbezahlbare Vergnügen, das es ihm selber macht, in die Bilanz aufnimmt.

Alle, die dazu beitragen, dieses aus der Zeit gefallene Erlebnis möglich zu machen - siehe: "Arbeiten zur Vorbereitung und Durchführung" - sind die Sams, ohne die die Frodos der Mittelerde, genauso wie die Pferde-Kutschen-Romantiker dieser Welt 2.0 um ein existenzielles Vergnügen ärmer wären.

Gelle, Ute?!

Karlheinz

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Zu ein paar größeren Bildern -
als Beweisstücke für den letzten Satz.


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