Kutsche fahren

„A Lucky Horseshoe“, oder
„ist da ein Pferdefuß dran“? 


von Karlheinz Damerow

Was kommt den meisten Menschen beim Thema „Kutsche fahren“ in den Sinn?

Das langsame Automobil, ...

Dank-Urkunde
für Stefan, Sepp & Franz,
unsere Kutschen-Fahrlehrer 2010

... das Glück bringende Hufeisen, der ominöse Pferdefuß..., Himmel und Hölle also, das übliche Paar komplementärer Assoziationen von Ritter, Tod und Teufel und auf dem Rücken, ääh, zwischen den Hufeisen der Pferde herumliegendem Glück dieser Erde.

Was ist dran an diesen geflügelten Worten?

Quasi als "Modernisierung" des griechischen Verführer- und Verwirrer-Gottes Pan mit Flöte, Hörnern, Schwanz und Klauen eines Bockes, dichtete die mittelalterliche christliche Glaubensvorstellung ihrem Teufel einen Pferdefuß an – ob den rechten oder linken scheint bis heute ebenso ungeklärt wie wohl egal zu sein. Auf jeden Fall aber ist auch der christliche Teufel einer von den bösen Schlingeln, der nichts weiter im Sinn hat, als sich mit Hilfe von Glücks-Versprechungen die Seele der Menschen unter den (Huf-)Nagel zu reißen. „Da ist wohl ein Pferdefuß dran“, meint denn im allgemeinen Sprachgebrauch eine gute Sache mit unangenehmen, versteckten Begleiterscheinungen.

Welcher Pferdefuß versteckt sich im Kutschefahren? Oder ist es vielleicht eher ein Versprechen allen Glückes dieser Erde?

Eine der vielen Legenden um die glücksbringende Wirkung des Hufeisens, "the lucky horseshoe", ist die um den englischen Bischof und späteren Heiligen Dunstan (909-988), der vor seiner Berufung zum Mann der Kirche auch ein guter Hufschmied war. Einst sei der Teufel zu ihm gekommen und habe verlangt, seinen Pferdefuß neu zu beschlagen. Dunstan schlug aber so fest zu, dass der Teufel um Gnade winselte und Dunstan anflehte, ihm das Eisen wieder abzunehmen. Der hörte mit dem Hämmern jedoch erst auf, nachdem der Teufel versprochen hatte, niemals mehr einen Raum zu betreten, über dessen Eingang ein Hufeisen hängt.

Glück nach dieser Vorstellung besteht also in der Abwesenheit des Teufels. Da die Öffnung des Eisens, der Legende entsprechend, nach unten zeigen sollte, muss dieses Glück außerdem eine Masse besitzen, die von der Anziehungskraft der Erde aus dem Huf gezogen werden kann?! Schaun mer mal!

Kein vernunftbegabter Mensch – mit Ausnahme weiblicher Individuen um die Phase der beginnenden Geschlechtsreife?! – wird Pferde mit Kuscheltieren verwechseln. Diese beeindruckenden Mitgeschöpfe, selbst die kleinsten Ausführungen, werden von Mutter Erde mit einer Kraft angezogen, die dem Gewicht eines Mittelklasse-Motorrades entspricht. Bei mittleren Kaltblut-Kutschen-Bio-“Motoren“ geht dies in den Tonnenbereich und darüber.

Wer im Physikunterricht aufgepasst hat, der weiß, dass die Einwirkung eines Körpers auf seine Umwelt selten, eigentlich nur in ruhendem Zustand, allein in der Gewichtskraft, seiner Masse besteht. So bald er sich bewegt, multipliziert sich diese Masse mit dem Quadrat seiner Geschwindigkeit zu dem Schwung, der Energiemenge, die sich dann an allem austobt, was sich ihm in den Weg stellen sollte.

Eine Tonne Pferd steht im „besten“ Falle, also ruhend, mit 250 Kilo, gleich fünf Zentnern auf meinem Fuß. In Bewegung beinhaltet es allein durch seine Masse bei jeder noch so geringen Geschwindigkeit, also auch im Wandertempo, mindestens mehr als elf mal so viel Energie wie mein Alabasterleib mit seinen 90 Kilo. Bei Verdoppelung der Geschwindigkeit auf einen mittleren Joggertrab haben beide folglich eine vierfache Energie oder Wucht, die Tonne Pferd allerdings nun vierzig mal mehr als ich kleiner Mensch.

Die Wirkung dieser Gesetzmäßigkeiten ist mir, mit weniger als 50 km/h auf einer R100R sitzend, bei einem Seiten-Aufprall gegen einen Pkw, im Wortsinne plastisch klar geworden. Wie ein Blitzlichtbild im Kopf eingebrannt erinnere ich, wie die Gabel meiner BMW sich verformte, als sei sie aus Butter, während sich mein Körper in der Startphase zu einem Zehn-Meter-Flug über meinen Lenker und die Motorhaube der wochenend-gestressten Mutter befand, die mir gerade die Vorfahrt genommen hatte.

Die folgenden Aufnahmen sollen jedem, der sich dem schönen Hobby des Kutschenlenkens widmen möchte, ein möglichst sinnfälliges Menetekel sein. Sie verdeutlichen drastisch, womit man "spielt", wenn man einen offenen Wagen zum Zwecke der Personenbeförderung, auch Kutsche genannt, durch ein oder mehrere Pferde in Bewegung setzen lässt.

Es handelt sich in jedem Fall um extreme Situationen, die zu erleben sich niemand auch in den wildesten Albträumen wünscht. Sie sind ausdrücklich nicht zur Abschreckung gedacht. Ganz im Gegenteil sollten sie bewusst machen, was bei dieser schönen Freizeitbeschäftigung möglich ist, "im Spiel ist" und sie sollten damit das unterfüttern, was man einen „gehörigen Respekt“ nennen könnte.

1 – Ein Kampfwagen mit gerissenen Aufhalte-Riemen wird zur Raketen-Startrampe für den Fahrer:

2 – Ein Beispiel für die Absolut-nicht-mehr-Steuerbarkeit eines panisch gewordenen Fluchttieres Pferd & Domino-Effekte in der Reitbahn mit offenbar nicht so gutem Ausgang für einige Beteiligte:

3 – CHIO am 5.7.2008 auf der Aachener Soers:
Ein durchgegangenes Vierer-Gespann wird von einem kompetenten, beherzten Gespann-Fahrer mit dem Glück des Tüchtigen eingefangen – unvorstellbares "Schwein" für alle Beteiligten - Gänsehaut für mich:

Alle Beteiligten, die allein diese drei Beispiele von Missgeschicken beim Kutschefahren heil überstanden haben, werden wohl in zwei Leben kein Hufeisen brauchen. Mehr Glück kann kein Mensch noch einmal haben.

Der Pferdefuß des Kutschefahrens ist einerseits die Physik, wenn man sich ihrer nicht bewusst ist. Andererseits die Notwendigkeit, sich auf ein mächtiges Lebewesen einzulassen, das man niemals ganz verstehen kann, in das hinein zu fühlen man aber so weit wie möglich jederzeit mit voller, nicht ermüdender Konzentration und allen Sinnen gerichtet sein sollte, um auf jedes seiner arteigenen Signale so früh es geht und so angemessen wie nötig zu reagieren, um ähnliche Katastrophen zu vermeiden.

In diesem Sinne, allen Kutschen-Freunden weiterhin alles Glück dieser Erde und:
„Toi, toi, toi!“

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