Mittwoch, 25. Mai 2011,

17 Kilometer
von Baulay
nach Ormoy
(230 Einwohner)

Etappe #3

Wie „üblich“, acht Uhr Frühstück für DEVISE, die wir auf  ihrer Weide, zwischen einem Holzstapel und einer hohen Mauer, unter einer großen Eiche aus dösendem Halbschlaf wecken.

Elke, die ihre angeborenen Angst vor dem allzeit drohenden Hungertod auf DEVISE projeziert hat, kann nicht widerstehen und stibitzt einen halben Eimer Granulé aus Jean-Pierres gut sortierten Beständen, um sie im Roulotte „für schlechte Zeiten“ zu bunkern.

Nachdem wir gemütlich gemeinsam mit unseren Gastgebern gefrühstückt haben, wird unser Versuch, um 10 Uhr in die dritte Etappe zu starten, noch auf dem Platz der Jardels durch ein lautes „Stooop!“ des Hausherren unterbrochen. Da wir vergessen haben, Elektrokabel und Verteilerdose aus der Platz-Steckdose zu nehmen und wieder im Wagen zu verstauen, schleppten wir beides wie Hochzeitsdosen hinter uns her.

Mit herzlichem Dank für ihre Gastfreundschaft an Jean-Pierre und Colette geht es hinein in einen weiteren sonnigen Tag. Und so rollen wir über eine Brücke über einen hunderte von Metern langen Schacht, der das ganze Dorf Baulay durchzieht, in dem eine offenbar sehr schnell befahrene Eisenbahnstrecke verläuft. Gute Oropax-Kunden und arme Büger von  Baulay!

Über eine einspurige, hohe Bogen-Brücke, deren Passage durch Ampeln geregelt wird, geht es über die Saône, den Fluss der Region. Die Saône und der Canal de l’Est werden uns noch häufiger begleiten. Mit ihnen leider auch eine wahre Plage von Quälgeistern für unsere brave DEVISE. Bremsen, Fliegen, Mücken aller Art liegen in unbegrenzter Zahl im Untergras auf der Lauer, um die Körperflüssigkeiten von Säugetieren, besonders die von Pferden abzuzapfen. Die pausenlose Aktion der wedelnden, wischenden und schlagenden, überdimensionalen Fliegenklatsche in Elkes Händen hält den absolut nachvollziehbaren Panikstress für das Tier mühevoll, aber immer noch in Grenzen.

Leider wurde DEVISE noch in einer Zeit geboren, als ein (Zwangs-) Rasse-Merkmal für Comtois der coupierte Schwanz war und die armen Tiere so ihrer wichtigsten Nahkampfwaffe gegen diese schmerzhaften Schmarotzer beraubt wurden. Heute behalten diese schönen Tiere Gott-sei-Dank ihre Insektenabwehr in voller Pracht, die nun ihre Silhouette wie ein dichter Wasserfall nach hinten abrundet. Schön!

Kurz nach Erreichen von Montureux-lès-Baulay gibt uns DEVISE ein weiteres Exempel ihrer majestätischen Selbstbestimmtheit und wählt in der enormen Hitze des Tages den Schatten eines alten, hohen Baumes für ihr – und unser – erstes Tages-Kurz-Picknick.

Ein kleiner Plausch mit Anwohnern, und nach 20 Minuten geht es gemütlich weiter.

Der Resonanzkörper der zweiten Brücke über den Bahn-„Schacht“ der selben Strecke die auch Baulay durchschneidet, ist für DEVISE kein Problem.

Zwei weitere Dörfer ziehen schläfrig in praller Sonne an uns vorüber und wir halten Ausschau nach dem planmäßigen nächsten Picknickplatz.

An den vorgeschlagenen Stellen, im Tal, im Wald und in der Nähe von Gewässern trifft uns, besser BEVISE der blanke Pferde-Bremsen-Terror. Ein Versuch, ihr hier die nötige Rast zu verschaffen, scheitert auf ganzer Linie. DEVISE hat bei den nötigsten Abwehrversuchen gegen das Heer dieser aggressiven Parasiten keine Möglichkeit mehr, zu trinken oder zu fressen.

Eine Flucht nach vorn, weiter stampfend an der Kutsche ziehen, assistiert durch Elkes Wedel-Abwehr, ist unter diesen Bedingungen die am wenigsten stressende Alternative für DEVISE. Sie läuft und läuft und läuft, die beachtliche und beachtlich lange Steigung ohne einen einzigen Straßenbaum hinauf nach Magney lès Jussey, und erst im Schatten und nah an den Häusern des Dorfes – dann aber knatterkaputt, mit allen Zeichen erschöpfter, Schweiß gebadeter Dankbarkeit – ist sie zum Halten zu bewegen.

Hier wenigstens gibt es für 40 Minuten keine Bremsen, dafür Wasser und Granulé satt für DEVISE.

Die Abzweigung von der D 153 nach Ormoy hätte ich, trotz der ansonsten guten Kennzeichnung durch „Roulez nature“-Schilder, vollkommen übersehen. Dafür weiß DEVISE Bescheid und biegt ohne zu zögern nach links ab, hinauf in einen Wald hinein. Hier finden wir endlich an einer Stelle, an der sich eine Wiese nach rechts öffnet, wohl den einzigen, von DEVISE nachträglich abgesegneten Rastplatz, der eine Ruhe-Pausen-Länge mit Ausschirren möglich macht. Die beiden mitfahrenden Menschen kämpfen 90 Minuten lang, pausenlos und zum offensichtlichen, teilweise amüsierten Erstaunen manches otto-motorisierten Passanten, gegen anbrummende, fette Pferdebremsen.

Kurz nach Einfahrt in Ormoy , dem Zielort der heutigen Etappe, zeigt uns DEVISE noch einmal, wo es lang geht. Wie wir später erfahren, Magali Vincenot, unsere Gastgeberin, ist uns entgegen gefahren und bestätigt DEVISE: Hier hättet ihr links abbiegen müssen!! Die Straße führt wieder aus dem Ort hinaus, und kurz vor dem Canal de l’Est preschen wir mit einer as usual immer schneller werdenden DEVISE auf einen menschenleeren Camping-Platz.

Magali zeigt uns den Platz, Granulé-Lager, Tränke und Weide für DEVISE und fährt zurück zu ihrem Restaurant. Ich suche die Weide systematisch nach Jacobs-Kreutz-Kraut ab.

Das Jacobs Kreuzkraut breitet sich in den letzten Jahren nahezu ungehindert aus. Es ist für Pferde akut giftig, sowohl nach dem Verzehr frischer Pflanzen, als auch (im gleichen Maße!) im Heu und auch als Silage!.

An sich ungiftige Inhaltsstoffe (Pyrrolizidin-Alkaloide, PA) dieser Pflanze werden aber in der Leber abgebaut. Erst diese Abbauprodukte wirken giftig. Sie verändern das Erbgut von Zellen, wirken so stark fruchtschädigend und können Krebs hervorrufen. Eine anhaltende Aufnahme von Jacobs Kreuzkraut führt zu bleibenden Schäden im Zentralen Nervensystem, in Lunge, Nieren, schließlich zu einer Leber-Zirrhose und zum Tod.

Das Jacobs Kreuzkraut ist auch für Menschen mindestens ebenso giftig wie für Pferde. Seit dem Mittelalter wird die Pflanze auch als Heilmittel (Tee) verwendet (Rrriiesiko! Das alte Wissen ist weitgehend verloren gegangen).

Als Folge nachgewiesener PA in Honig in England hat das dortige Ministerium für Landwirtschaft, Fischerei und Ernährung Jakobskreuzkraut zur gefährlichen Pflanze erklärt. Somit ist jeder Landbesitzer verpflichtet, Jacobskreuzkraut zu bekämpfen, um damit eine Ausbreitung auch auf landwirtschaftliche Flächen zu verhindern.

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Die Weide ist auch hier, wie alle anderen, die wir in der Woche kennen lernen, mit Stacheldraht eingezäunt. Nutztierhaltung, auch für Pferde, wie dies hier noch allgemein Gang und Gäbe ist.

Besonders aus unserem Freizeit-Pferde-Verständnis heraus hat diese Weide für DEVISE noch einen Nachteil. Nicht was das Gras-Angebot betrifft, da ist sie Spitze. Sie bietet jetzt, gegen Abend kaum Schatten. DEVISE, die wie alles an der Tour de Fontenois-la-Ville, auch diesen Platz genau kennt, stellt sich aber neben ein Eisengestell mit Stroh am Ostrand und „brät“ mit gesenktem Kopf demütig weiter in der Sonne.

Ich versuche DEVISE zu  überreden, mir doch auf die andere Seite der Weide, in den einzigen Abend-Schatten eines Apfelbaums zu folgen. So lange ich mich ihr frontal zuwende und ihr gut zurede, zeigt sie keine Reaktion. Als ich mich schließlich abwende, um zum Eingang der Weide zurück zu gehen, bemerke ich, dass sie mir folgt ...
... bis in den Schatten des Apfelbaums, wo sie zu grasen beginnt.

Ein schönes Gefühl nach einer erfolgreichen(?) Kommunikation zwischen einem kleinen Menschen und einem großen Pferd.

Wir parken unsere Roulotte - ebenfalls ohne Schatten - schließen die knallroten Planen und machen einen 10-minütigen Spaziergang ins Dorf zum Restaurant „Bar de l’Embuscade“ unserer Gastgeberin dieser Station, Magali Vincenot .

Im hohen, alten Gastraum mit ausgestopften Tieren und einer Uhr in einem regionalen Kummet an der Wand

und einem (Wein?)Fass als Knobel-Tisch, nehmen wir einige erfrischende Getränke.

Nach dem Abend-Menü schlendern wir um ein beeindruckendes, leider wie so Vieles hier, vernachlässigtes Gemäuer am Canal de l'Est herum, umrahmt von hohem, altem Baumbestand.

Wohl das Anwesen eines ehemals nicht ganz mittellosen Bürgers von Ormoy (im Erbenzwist?),

an einer alten Schmiede

mit einem sternförmigen Hufeisen-Aushängeschild vorbei,

zurück zu unserer Roulotte mit dem großen RouLotter-Bett (ha ...).

Das beruhigende Dauerrauschen des Überlaufs bei einer nahe gelegenen Mühle am Canal begleitet uns sanft in den Schlaf.


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