Die ungehaltene Grabrede

Herbert Florack

Von Köln nach Heisterberg


An einem Mittwoch, den 11. Januar 1928 wurdest Du in Köln-Mülheim, direkt am Rhein, geboren.

Als der Jüngere zweier Brüder erfreutest Du Deine Eltern sehr bald dadurch, dass Du Deine schulischen Leistungen noch mit viel zeitgemäßeren Qualitäten übertrafst. Schlagkraft im wahrsten Sinne des Wortes, List und Schabernack, bei "Spielen" zwischen Straßen-Banden, mit Blockwarten des „Tausendjährigen Reiches“, und dem Küster im Kirchturm an der Mülheimer Freiheit. Nicht zuletzt bei der „Beinahe-Versenkung“ eines Feuerlöschbootes eben dort mittels selbstgebastelter Flaschen-Karbid-Handgranaten, die ursprünglich „eigentlich nur“ zum Fischfang gedacht waren.

Sogenannte, besonders selbsternannte „Autoritäten“ waren Dir ein Rotes Tuch. Instinkt sicher, Dein Leben lang. So schafften es auch die Handlanger des GröFaZ nicht, Dich unter dessen Pimpf-Drill zu zwingen. Allerdings nötigten sie Dich im Alter von 15 Jahren, gegen Ende des Krieges doch noch, Löcher für den Westwall zu buddeln – mehrfach nachhause ausgebüchst und ebenso oft wieder von dort zurückgeholt.

Als „Letztes Aufgebot“ wurdest Du, in die Klamotten des Arbeitsdienstes gesteckt, in Richtung Abwehrschlacht gen Westen gekarrt. Ein Tiefflieger-Angriff, ein Trupp-Führer, den Du mit der Waffe zwingen musstest, seine Leute in Deckung gehen zu lassen, und der weise Entschluss, in der folgenden Nacht nach Köln zu desertieren, bewahrte Dich vor dem Stand“Recht“. Ebenso wie später der Sprung vom Güterzug in einer langsamen Kurve, vor der Fortsetzung des Weges in die Gefangenschaft.

Ein Fußmarsch brachte Dich in die damalige „Ostzone“, zur Mutter, die dorthin vor der Flächenbombardierung Kölns evakuiert worden war. Dein Vater war als Matrose mit seinem Schiff untergegangen. So kehrtest Du als Halbwaise in ein total zerstörtes Köln zurück.

Dort fandet Ihr Euch, Du und Deine Martha wieder und als „Ewige Verlobte“ wurdet Ihr beide, kurz vor der Geburt Eurer Tochter Elke, doch noch ein „richtiges“ Ehepaar, eine „richtige“ Familie.

Maloche in den Brennöfen der Schamottstein-Fabrik Pagenstecher ernährte die junge Familie, ja, erlaubte sogar den Erwerb DES Nachkriegs-Traum-Vehikels, eine DKW mit Beiwagen, und ab ging es in den Westerwald.

Seit 1958 wurde so der Heisterberger Weiher Dein, Euer Wochenend-Zuhause. Wechsel zu Felten & Guilleaume, Schichtarbeit an der Kabelpresse, „vorne glühend heiß und Eiszapfen am A....“, Umzug in die erste eigene Wohnung auf die linke Rheinseite, „un us dä Müllemer Kraat wod ene Kölsche Jung“.

Arbeiten und sparsam leben, das waren die Sechziger Jahre. Bis durch den Kauf eines Grundstücks im Buchenfeld in Heisterberg, der Traum eines eigenen Hauses zur Möglichkeit wurde. Baubeginn 1974 und beständiges Arbeiten daran hätten über die 15 Jahre seither noch unabsehbar weiter dauern sollen.

Ein Leben voll Arbeit änderte diese „Geschäfts Grundlage“ auch nach dem „vorgezogenen Ruhestand“ nicht. Dennoch war es Dir dadurch immerhin vergönnt, Deine letzten drei Lebensjahre ganz in Deiner Wahlheimat Heisterberg und ohne fremd bestimmte Maloche zu verbringen...

...bis, ja, bis eine unheilbare Krankheit Dich mit einer Gewalt überfiel, die einerseits entsetzlich mit Dir umging, die aber auch gnädig war. Du gingst mit einem Tempo, das es denen, die Dich begleiten durften, kaum gestattete, bewusst mit zu leiden. Du hast uns geschont, nicht Dich selbst. Dabei hättest Du wahrlich Anderes verdient, wäre Dein Leben ein gerechter Tarif-Vertrag gewesen.

Dennoch, Du hast ein „rundes“ Leben vollendet, das in zeitgeschichtlich irrwitzigen Turbulenzen begann. Das Du dem zum Trotz, mit viel gutem Witz, Phantasie und sehr präzisen Vorstellungen über das „Wohin“ Deines Lebensweges gegangen bist.

Ein Leben ohne Spektakel, ohne „Show“. Dennoch, unverschämt verschmitzt und klarsichtig, die Geister (meist eher Un-Geister) Deiner Zeit entlarvend. Nie geleitet von „geliehener“ Moral, von Massen-Gesinnungen oder gar Ideologien, gleich welcher Färbung.

Mit beeindruckend bescheidenem, eigenständigen Ethos, das sich übertrug auf alle, die Dich erleben durften. Ein Ethos, das Ruhe vermittelte, das nie besserwisserisch, nie aufdringlich wirkte. Das das Tun über das Reden stellte, aktive Hilfe über noch so gut (gemeinte) Ratschläge und dem falscher Schein, Gefühls-Duselei und Heuchelei ein Greuel waren.

Was auch immer ist, nach dem, was wir Tod nennen, auch solltest Du hier und jetzt griemelnd bei uns sein: Wir wünschen Dir da, wie und wo immer Du bist, die Ruhe, das glückliche Verweilen, das wir Dir noch lange gegönnt, ja, so sehr gewünscht hätten, hier, in dem, was wir Leben nennen.

Eine Form der Existenz, aus der nun mal keiner lebend heraus kommt. Leben und Tod sind ihr unauflösliches, prägendes Paradoxon. Die, die bleiben, die noch eine kurze Zeit lang weiter leben, sind es, die leiden müssen, angesichts der Trennung von denen, die schon gegangen sind.

Herbert, Du fehlst uns so sehr.

Dass Du in unserem irdisch irrenden Sinne weiterlebst in unseren Gedanken, unseren Erinnerungen, ist ein kleiner Trost. Viel tröstlicher aber ist die Gewissheit, dass wir uns wieder sehen werden, wo und wie auch immer Du heute schon bist.

Bis dahin, "mach et jot, Herbert!"

Donnerstag, 13. Juli 1989


zurück zu: Heisterberg


zurück zu: ekdamerow